Sammelklage-Inkasso: Status Quo und mögliche Folgen der bevorstehenden Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie

Zur Bewältigung von Massenschadensereignissen erwies sich die im Jahr 2018 in Kraft getretene Musterfeststellungsklage als wenig effektiv. Stattdessen prägen heute die von Inkasso-Dienstleistern vorangetriebenen und durch die BGH-Rechtsprechung bestätigten Sammelklage-Inkasso-Modelle das Bild des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung des Sammelklage-Inkassos, über die wesentlichen Entscheidungen des BGH hierzu und geht auf die Frage ein, wie sich die bevorstehende Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie hierauf auswirken könnte.

Von Jörg Opelt, LL.M. (King’s College London), Rechtsanwalt

Die Bezeichnung „Sammelklage-Inkasso“, die mit der sogenannten AirDeal-Entscheidung des BGH (BGH, Urteil v. 13.7.2021 – II ZR 84/20) Eingang in die Rechtsprechung fand, beschreibt ein Instrument zur Geltendmachung von Ansprüchen in Massenschadensverfahren, wie beispielsweise in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen oder den sogenannten „Diesel-Verfahren“ gegen Kfz-Hersteller. Hierbei treten die Geschädigten ihre Ansprüche an einen Inkassodienstleister ab. Dieser macht die gleichgelagerten und gegen denselben Schuldner gerichteten Ansprüche sodann gebündelt (gem. § 260 ZPO) geltend. Zudem übernimmt der Inkassodienstleister das Prozessrisiko der Geschädigten, sodass diesen – auch im Falle des Verlierens – keine weiteren Kosten entstehen. Im Gegenzug erhält der Inkassodienstleister im Falle des Obsiegens – je nach Vereinbarung – einen Anteil des möglichen Gewinns als Provision.

Mitunter bedienen sich die Inkassodienstleister hierbei auch der Unterstützung von Prozessfinanzierern und setzen Legal-Tech Systeme ein, um den Geschädigten beispielsweise die Höhe der möglichen Ansprüche zu prognostizieren oder um die Arbeitsabläufe effizient zu gestalten. Im Ergebnis ist das Sammelklage-Inkasso damit ein einfacher, komfortabler und günstiger Weg für Geschädigte, ihre Rechte durchzusetzen.

Modell auf Erfolgskurs

Die steigende Beliebtheit des Sammelklage-Inkassos ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass hierdurch effektiv das sogenannte „rationale Desinteresse“ der Geschädigten überwunden werden kann. Hierunter versteht man das Phänomen, dass erlittene Schäden – insbesondere je geringer die Nachteile sind – nicht gerichtlich verfolgt werden, da die Geschädigten den notwendigen (auch finanziellen) Aufwand als unverhältnismäßig erachten. Dies gilt insbesondere für Verbraucher, die in der Regel einem finanziell sehr viel potenteren Unternehmen als Klagegegner gegenüberstehen. Die Möglichkeit der Abtretung der potenziellen Ersatzforderung an einen Inkassodienstleister, der diese Forderung wiederum unter Übernahme des Prozessrisikos geltend macht, erscheint daher besonders unkompliziert und einfach. Dass jedoch nicht nur Verbraucher geringe Schäden im Rahmen des Sammelklage-Inkassos geltend machen, zeigt die von dem Rechtsdienstleister Financialright Claims eingeleitete Klage vor dem LG München I. In diesem Verfahren machte die Klägerin die abgetretenen Forderungen von mehr als 3.000 Spediteuren in Höhe von etwa EUR 900 Mio. geltend (LG München I, Urteil vom 7.2.2020, Az. 37 O 18934/17).

Nachdem das LG München mit seinem Urteil vom 7.2.2020 diese Klage als unzulässig abgelehnt hatte, weil der klagende Inkassodienstleister nicht aktivlegitimiert sei, hat sich der BGH pro Sammelklage-Inkasso positioniert und der Zulässigkeit des Sammelklage-Inkassos durch verschiedene Entscheidungen klare Konturen verliehen.

Entwicklung und Status Quo der BGH-Rechtsprechung zum Sammelklage-Inkasso

Die Konturierung des Sammelklage-Inkassos erfolgte im Wesentlichen durch die drei BGH-Entscheidungen, die als „LexFox“, „AirDeal“ und „financialright“ bekannt wurden.

a) LexFox (BGH, Urteil vom 27.11.2019 – VIII 285/18)

Die Klägerin, das Legal-Tech Unternehmen LexFox, bot im Internet eine standardisierte und unentgeltliche Online-Prüfung der Erfolgsaussichten von Ansprüchen von Mietern im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse an. Bei Erfolgsaussichten konnte der Interessent die Ansprüche direkt gegen eine Erfolgsbeteiligung zur treuhänderischen Geltendmachung an die Klägerin abtreten.

Da LexFox die Ansprüche der Zedenten nicht bündelte, sondern individuell geltend machte, ging es nicht um einen Fall des Sammelklage-Inkassos. Dennoch ist die Entscheidung für die Entwicklung der Sammelklage-Inkasso-Rechtsprechung aus den folgenden Gründen relevant:

  • Schon im Leitsatz weist der BGH darauf hin, dass der Begriff der Rechtsdienstleistung unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verfolgten Zielsetzung einer grundlegenden, unter anderem an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten, die Entwicklung neuer Berufsbilder erlaubenden Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen, nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen sei. Geboten sei eher eine großzügige Betrachtung.
  • Hiernach umfasst die Inkassodienstleistungsbefugnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG aF neben der eigentlichen Einziehung nicht nur kaufmännische Hilfstätigkeiten, sondern auch „noch“ die im konkreten Verfahren durch die Klägerin erbrachten Beratungsleistungen.
  • Zudem sei auch die Vereinbarung der erfolgsabhängigen Vergütung sowie die Kostenfreihaltungspflicht gegenüber den Zedenten zulässig.
  • Da der BGH gleichzeitig deutlich machte, dass das Geschäftsmodell „noch“ vom RDG gedeckt sei, zeigte er jedoch keine klaren Grenzen für die Definition von Inkassodienstleistungen nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG aF auf.

b) AirDeal (BGH, Urteil v. 13.7.2021 – II ZR 84/20)

Im Juli 2021 entschied der BGH in seinem sogenannten „AirDeal“-Urteil das erste Mal über ein tatsächliches Sammelklage-Inkasso-Modell. In diesem Verfahren machte die Klägerin sieben abgetretene Ansprüche gem. § 260 ZPO gebündelt geltend. Auch dies erachtete der BGH als zulässig:

  • So seien auch Inkasso-Geschäftsmodelle, die vorrangig oder ausschließlich auf eine gerichtliche Einziehung der abgetretenen Forderungen abzielen, von der Inkassobefugnis des §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 aF iVm. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG aF erfasst.
  • Gleichzeitig verwies der BGH die hiergegen Argumente, insbesondere dass die (geprüfte) Sachkunde für die komplexen Fälle nicht ausreiche und dass der Bezug der Provision für die angebotenen Dienstleistungen zu einem Interessenskonflikt führe, in die Schranken.

c) financialright (BGH, Urteil v. 13.6.2022 – Via ZR 418/21)

Auch in der jüngst am 13.6.2022 verkündeten Entscheidung in Sachen „financialright“ positionierte sich der BGH klar für die Zulässigkeit des Sammelklage-Inkassos. Die Klägerin machte in diesem Verfahren, das im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal steht, mehr als 2000 abgetretene Forderungen gebündelt geltend. Die Besonderheit lag darin, dass die Zedenten Schweizer Erwerber von Fahrzeugen waren, sodass die streitgegenständlichen Forderungen dem Schweizer Sachrecht unterlagen. Hierzu stellte der BGH klar,

  • dass es für eine Obergrenze der Anzahl der gebündelten Forderungen keinen sachlichen Grund gebe, sodass vorliegend auch 2004 Ansprüche gebündelt gem. § 260 ZPO geltend gemacht werden konnten.
  • Zudem erfasse die Inkassoregistrierung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG aF auch die Einziehung von Forderungen, die ausländischem Recht unterfallen. Es bedürfe gerade keiner weiteren Registrierung gem. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 RDG.
  • Auch die Einbindung eines externen Prozessfinanzierers führe nicht zu einer Interessenskollision gem. § 4 RDG, solange dieser – wie vorliegend der Fall – den Verfahrensverlauf nicht weitgehend beeinflussen könne.

Das Sammelklage-Inkasso kann daher inzwischen ohne Zweifel als rechtlich gefestigtes Instrument im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes bezeichnet werden.

Wird die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie Einfluss auf die Bedeutung des Sammelklage-Inkassos haben?

Der deutsche Gesetzgeber muss die Verbandsklagerichtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2020 („Verbandsklagerichtline“) bis zum 25.12.2022 umsetzen. Die Neuerungen werden dann bis Mitte des Jahres 2023 in Kraft treten. Der einzuführende Mechanismus wird entgegen der Musterfeststellungsklage eine Abhilfeklage beinhalten, mit der die klageberechtigten Einheiten (so wie es bereits auch im Wege des Sammelklage-Inkassos möglich ist) direkt auf Beseitigung oder Schadensersatz klagen können („Abhilfeklage“).

Bei der Frage möglicher Auswirkungen der Abhilfeklage auf das Sammelklage-Inkasso ist von dem in der Verbandsklagerichtlinie enthaltenen und für die Umsetzung relevanten Mindeststandard sowie von den bislang bekannten Informationen über den Referentenentwurf von Ende September 2022 auszugehen.

Im Folgenden wird exemplarisch auf vier Anwendungsvoraussetzungen eingegangen, bei denen sich Abweichungen zwischen der Abhilfeklage und dem Sammelklage-Inkasso zeigen:

a) Klageerhebung nur durch „qualifizierte Einrichtungen“

Ebenso wie die Musterfeststellungsklage werden auch im Rahmen der Abhilfeklage nur sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“ („Verbände“) klageberechtigt sein. Im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage haben die strengen Anforderungen an die Verbände (vgl. § 606 Abs. 1 ZPO) jedoch dazu geführt, dass nur wenige Einrichtungen tatsächlich klagebefugt waren. Nach den Informationen über den Referentenentwurf für die Abhilfeklage, werden die bisher für die Musterfeststellungsklage geltenden Voraussetzungen wohl auch für die Abhilfeklage beibehalten. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Inkassodienstleister, die – außer der notwendigen Registrierung – keine weiteren Voraussetzungen erfüllen müssen und häufig personell und sachlich besser ausgestattet sind als die Verbände, auch weiterhin wesentlichen Anteil an der Gestaltung des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland haben werden.

b) Aktivlegitimation erstreckt sich auf kleine Unternehmen

Ebenso über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehend (und wie auch im Koalitionsvertrag bereits angekündigt), werden sich neben Verbrauchern wohl auch kleinere Unternehmen (mit maximal 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von weniger als EUR 10 Mio.) einer Abhilfeklage anschließen können. Auch diese – insbesondere im Vergleich zur Musterfeststellungsklage – deutliche Erweiterung des Anwendungsbereichs, wird jedoch beispielsweise mit Blick auf kartellrechtliche Schadensersatzprozesse nicht sämtliche Geschädigte erfassen. Auch hier bleibt weiterhin Raum für das Sammelklage-Inkasso.

c) Beschränkung der Verbandsklage auf Verbraucherrechte:

Nach der Mindestvorgabe in Art. 2 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie kann die Abhilfeklage nur bei Verletzung der in Anhang I aufgeführten verbraucherschützenden unionsrechtlichen Vorschriften einschließlich deren Umsetzung in nationales Recht erhoben werden. Der deutsche Gesetzgeber wird nach den jüngsten Informationen wohl sogar über diesen Mindeststandard hinaus gehen, sodass die Abhilfeklage bei allen Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen Anwendung finden soll.

Trotz dieser Ausweitung verbleiben jedoch zahlreiche Konstellationen, in denen Unternehmen mangels Verstoßes gegen verbraucherschützende Normen keine Abhilfeklage erheben können werden. In diesem Falle wäre das Sammelklage-Inkasso, bei dem es nicht darauf ankommt, ob die verletzte Norm verbraucherschützenden Charakter hat, nach wie vor anwendbar.

d) Prozessfinanzierung

Im Hinblick auf das Sammelklage-Inkasso stellte der BGH in dem financialright-Urteil vom 13.6.2022 (vgl. oben) fest, dass die Beteiligung eines externen Prozessfinanzierers – in gewissen Grenzen – grundsätzlich zulässig ist. Hinsichtlich der bevorstehenden Abhilfeklage folgt aus Art. 10 der Verbandsklagerichtlinie, dass eine externe Prozessfinanzierung unter engen Grenzen grundsätzlich ebenfalls zulässig ist. So müssten die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung sicherstellen, dass es durch die Drittfinanzierung nicht zu Interessenskonflikten kommt (z.B. im Falle der Finanzierung durch einen Wettbewerber des verklagten Unternehmens) und dass bei der Beteiligung eines kommerziellen Finanzierers der Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher nicht aus dem Fokus gerät. Da das Sammelklage-Inkasso bereits gezeigt hat, dass eine Prozessfinanzierung zur effektiven Rechtsdurchsetzung beiträgt, bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber den Rechtsrahmen für die Prozessfinanzierung der Abhilfeklage zum Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen gestalten wird.

Fazit

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass eine Ablösung des Sammelklage-Inkassos durch die bevorstehende Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie eher unwahrscheinlich ist. Die beiden Instrumente werden sich vielmehr im System des kollektiven Rechtsschutzes ergänzen. Da das Gesetzgebungsverfahren für die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie jedoch noch in vollem Gange ist, bleibt eine finale Antwort auf die Frage der möglichen Auswirkungen der Abhilfeklage auf das Sammelklage-Inkasso weiterhin mit Spannung abzuwarten.

Jörg Opelt, LL.M.

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