Die Whistleblower-Richtline: Ein Update

Die Whistleblower-Richtlinie ist zurück. Nach ihrer Verabschiedung im Oktober 2019 war sie zunächst etwas in Vergessenheit geraten, rückte dann aber Ende des vergangenen Jahres 2021 wieder in die öffentliche Diskussion. Dies dürfte zum einen daran gelegen haben, dass die Ampelkoalition die Umsetzung der Richtlinie in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat. Zum anderen steht wegen des Ablaufs der Umsetzungsfrist am 17. Dezember 2021 die Frage im Raum, ob die Richtlinie unmittelbare Wirkung entfaltet und juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts seitdem auch ohne ein deutsches Umsetzungsgesetz an ihre Regelungen gebunden sind. 

Um was geht es in der Richtlinie? Haben Unternehmen aufgrund einer unmittelbaren Wirkung gegenwärtig Sanktionen zu befürchten? Unser Update zur Whistleblower-Richtlinie erläutert deren wesentlichen Inhalt und beleuchtet, dass erst das deutsche Umsetzungsgesetz privaten Unternehmen konkrete Pflichten auferlegen wird. Dennoch sollten sich Unternehmen zeitnah mit dem Thema Whistleblower-Richtlinie befassen.

von Thomas Magosch, Rechtsanwalt

 

Zweck und Wesentlicher Inhalt der Richtlinie

Der Unionsgesetzgeber bezweckt mit der Whistleblower-Richtlinie die bessere Durchsetzung des Unionsrechts und den Schutz solcher Personen, die Verstöße dagegen aufdecken. Dies geschieht im Kern durch die Verpflichtung zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen sowie durch Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern.

 

a) Einrichtung von internen und externen Hinweisgebersystemen

Juristische Personen des öffentlichen und privaten Sektors (etwa Behörden und Gesellschaften) werden nach dem Willen des Unionsgesetzgebers Hinweisgebersysteme in Form von sogenannten internen und externen Meldekanälen einrichten müssen. Diese Verpflichtung soll für juristische Personen des privaten Sektors grundsätzlich erst ab 50 Arbeitnehmern gelten – hiervon können die Mitgliedstaaten in ihren Umsetzungsgesetzen allerdings abweichen. In einigen Sektoren soll diese Verpflichtung hingegen unabhängig von der Anzahl der Arbeitnehmer bestehen, beispielsweise im Finanzwesen.

Die Richtlinie sieht vor, dass juristische Personen interne Meldekanäle schaffen, die für die Entgegennahme von Hinweisen und die Ergreifung von Folgemaßnahmen verantwortlich sind. Hierbei kann es sich um eine Person oder Abteilung aus den eigenen Reihen oder eine externe Person oder Institution handeln. Dagegen obliegt es den Mitgliedstaaten, Behörden zu benennen, die dies als externe Meldekanäle übernehmen. Auf beiden Meldekanälen muss die Vertraulichkeit gewahrt sein und die Identität des Hinweisgebers geschützt werden; die im Einzelfall zuständige Stelle ist verpflichtet, dem Hinweisgeber den Eingang der Meldung innerhalb von sieben Tagen zu bestätigen und ihm grundsätzlich innerhalb von drei Monaten Rückmeldung zu erstatten. Außerdem müssen Meldungen umfassend dokumentiert werden.

 

b) Schutz vor Repressalien nur unter gewissen Voraussetzungen

Nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers sollen Hinweisgeber nur innerhalb eines definierten Anwendungsbereichs geschützt werden. Wegen der beschränkten EU-Rechtsetzungskompetenzen ist der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie auf besonders definierte Verstöße gegen Unionsrecht begrenzt. Darunter fallen etwa die Bereiche öffentliches Auftragswesen, Produktsicherheit und -konformität, Umweltschutz sowie Verbraucherschutz. Ausdrücklich ausgeschlossen sind Angelegenheiten, die durch anwaltliche oder ärztliche Schweigepflichten geschützt sind. Der persönliche Anwendungsbereich ist dagegen weit gefasst und schließt u.a. Arbeitnehmer, Beamte, Selbständige sowie Anteilseigner (etwa Gesellschafter) und Personen, welche dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören (etwa Geschäftsführer oder Vorstands- und Beiratsmitglieder) ein. Zu beachten ist allerdings, dass der nationale Gesetzgeber den Anwendungsbereich seines Umsetzungsgesetzes weiter fassen kann.

Die Richtlinie sieht einen Schutz des Hinweisgebers daneben nur dann vor, wenn dieser die Meldung über interne oder externe Meldekanäle abgibt und hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen.

Nach Maßgabe der Richtlinie kann auch eine Offenlegung außerhalb interner oder externer Meldekanäle zum Schutz des Hinweisgebers führen. Dies gilt einerseits, wenn auf eine interne oder externe Meldung keine Folgemaßnahmen ergriffen wurden. Der Hinweisgeber soll daneben auch dann geschützt werden, wenn er hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass der Verstoß eine unmittelbare und offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann. Im Fall einer externen Meldung schreibt die Richtlinie dies auch dann vor, sofern Repressalien zu befürchten sind bzw. die Erfolgsaussichten eines wirksamen Vorgehens gegen den Verstoß gering sind.

 

c) Umfang des Schutzes

Wenn die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, soll einem Hinweisgeber umfassender und arbeitsvertraglich nicht abdingbarer Schutz zu Gute kommen. Verboten sind jegliche Art von Repressalien, wie etwa Kündigung, Herabstufung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarmaßnahmen oder Diskriminierung. Nach Maßgabe der Richtlinie wird außerdem in Verfahren vor Gerichten oder Behörden zu Gunsten des Hinweisgebers vermutet, dass eine etwaige Repressalie aufgrund des Whistleblowings erfolgt ist. Wegen dieser Beweislastumkehr obliegt demjenigen, der die Maßnahme ergriffen hat, der Beweis eines hinreichenden Grundes für die Maßnahme. Die Richtlinie sieht auch vor, dass eine zivil- oder öffentlich-rechtliche Haftung (etwa wegen Verleumdung, Verletzung von Urheberrechten oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen) ausgeschlossen ist. Hinweisgeber sollen in derartigen Gerichtsverfahren Klageabweisung beantragen können, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass das Whistleblowing für die Offenlegung eines Verstoßes notwendig war.

 

Aktuelle Rechtslage in Deutschland

Eine Richtlinie ist grundsätzlich nur für die von ihr adressierten EU-Mitgliedsstaaten bindend und verpflichtet diese zur Umsetzung der Regelungen in nationales Recht.

Wie eingangs erwähnt, hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie derzeit noch nicht umgesetzt. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz für ein entsprechendes Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) aus dem Herbst 2020 wurde teils als unzureichend kritisiert. Die neue Bundesregierung beabsichtigt laut Koalitionsvertrag dagegen, das Schutzniveau für Hinweisgeber über den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus zu erweitern. So soll das Hinweisgeberschutzgesetz Rechtsverstöße oder solch erhebliches Fehlverhalten erfassen, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt.

Nachdem das Versäumnis eines Mitgliedsstaates bei der Umsetzung von Richtlinien nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht zu Lasten von Privaten gehen kann, entfaltet die Richtlinie für Private trotz des Ablaufs der Umsetzungsfrist keine unmittelbare Wirkung. Für Behörden hat die Richtlinie jedoch unmittelbare Wirkung. Zu beachten ist allerdings, dass Gerichte die Wertungen der Whistleblower-Richtlinie schon jetzt bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen des deutschen Rechts beachten müssen; dies wäre beispielsweise in einem Arbeitsgerichtsprozess von Bedeutung, in dem sich der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung infolge seines Whistleblowings wehrt.

 

Fazit und Ausblick

Mangels unmittelbarer Wirkung der Richtlinie brauchen Unternehmen gegenwärtig nicht mit Sanktionen zu rechnen; erst das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz wird ihnen konkrete Pflichten auferlegen. Interessant wird dabei insbesondere sein, inwieweit das Hinweisgeberschutzgesetz – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – über das Schutzniveau der Richtlinie hinausgehen wird und wie der Gesetzgeber die Pflichten von Unternehmen konkret ausgestaltet.

Da die Ampelkoalition eine baldige Umsetzung der Richtlinie angekündigt hat und die Einrichtung von internen Hinweisgebersystemen mitunter komplex sein kann, lohnt es, sich zeitnah mit dem Thema zu befassen.