Die Auswirkungen der Euro-Krise auf die Vertragsgestaltung

Die Wahrscheinlichkeit eines Austritts von Krisenstaaten oder gar eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone ist in den letzten Monaten gestiegen. Vor diesem Hintergrund sollten die Auswirkungen solcher Ereignisse bei der Gestaltung von Verträgen berücksichtigt werden. Auch bestehende Verträge sollten auf Änderungsbedarf überprüft werden. Dieser Beitrag erläutert die rechtlichen Hintergründe und gibt praktische Hinweise.

1. Überblick

Momentan herrscht große Unsicherheit darüber, ob die Euro-Zone in ihrer derzeitigen Zusammensetzung Bestand haben wird. Ein baldiger Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, und möglicherweise damit auch aus der Europäischen Union („Grexit“), wird inzwischen vielerseits für denkbar gehalten. Zwar hat der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, in einer Rede am 26. Juli 2012 betont, dass die EZB alles Erforderliche tun werde, um den Euro zu erhalten. Einen möglichen Austritt einzelner Staaten hat er dabei allerdings nicht ausdrücklich thematisiert. Ein vollständiges Auseinanderbrechen der Euro-Zone, verbunden mit der Rückkehr zu 17 nationalen Währungen, wird dagegen überwiegend noch als unwahrscheinlich angesehen. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. Juli 2012 allerdings bereits vor einem Zerfall der Euro-Zone gewarnt.

Es stellt kein einfaches Unterfangen dar, die Auswirkungen eines Austritts einzelner Mitgliedsstaaten und eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone angemessen bei der Vertragsgestaltung und der Überprüfung bestehender Verträge zu berücksichtigen, auch da in der deutschrechtlichen Literatur kaum Stellungnahmen zu diesem aktuellen und brisanten Thema vorhanden sind (vgl. aber Kindler, NJW 2012, 1617).

Zur Vereinfachung wird nachfolgend in erster Linie der Austritt eines Krisenstaates behandelt. Die Ausführungen gelten jedoch für ein vollständiges Auseinanderbrechen der Euro-Zone im Wesentlichen entsprechend. Ferner wird in diesem Beitrag nur die Konstellation behandelt, in der der Schuldner einer Geldschuld in einem Krisenstaat ansässig ist. In diesem Fall wird der Gläubiger ein Interesse daran haben, auch im Falle eines Austritts in Euro bezahlt zu werden (und diese Forderung auch tatsächlich durchsetzen zu können). Wenn dagegen der Gläubiger der Geldschuld im Krisenstaat ansässig ist, wird es für den Schuldner aufgrund der zu erwartenden Abwertung der neuen Landeswährung des Austrittsstaats von Vorteil sein, seine Schuld in der neuen Landeswährung begleichen zu dürfen.

2. Regelungsvorschläge

Elemente, die je nach Lage des Einzelfalls und der Verhandlungssituation in die Verträge mit einem Geldschuldner aus einem Krisenstaat einfließen sollten, sind unter anderem:

  • Vereinbarung von Rücktritts- und/oder Kündigungsrechten, beispielsweise für den Fall des Austritts, oder wenn aufgrund des Austritts keine Zahlung mehr in Euro erfolgen kann
  • Definition des Euro entweder als das in einem bestimmten Nicht-Krisenstaat jeweils gültige Zahlungsmittel, oder als die Gemeinschaftswährung der Länder der Euro-Zone in ihrer jeweiligen Zusammensetzung
  • Anwendbarkeit des Sachrechts eines Nicht-Krisenstaates
  • Ausschließlicher Gerichtsstand außerhalb des Krisenstaates
  • Erfüllungsort außerhalb des Krisenstaates

Auch anderen vertraglichen Bestimmungen muss im derzeitigen Umfeld erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Force-Majeure“- und „Material Adverse Change“-Klauseln, Bezugnahmen auf Referenzzinssätze (insbesondere EURIBOR) und auf Unternehmenskennziffern (wie etwa in Covenants in Kreditverträgen) sowie eine Reihe weiterer Bestimmungen sollten darauf überprüft werden, ob sie der Abschaffung des Euro in einem Staat, mit dem der jeweilige Vertrag Berührungspunkte aufweist, standhalten.

Zusätzlich sollte vor dem Abschluss bedeutender Verträge mit Vertragspartnern aus Krisenstaaten überprüft werden, ob substantielles Vermögen des Vertragspartners außerhalb des Krisenstaates vorhanden ist, um ggf. einen Vollstreckungszugriff zu erleichtern, der nach einem Austritt in dem Krisenstaat nicht oder nur noch zu erschwerten Bedingungen möglich sein könnte.

3. Regulatorisches Umfeld

Welche der vorgenannten Maßnahmen im Einzelfall zum gewünschten Ergebnis führen werden, kann nicht mit Sicherheit beurteilt werden. Denn es ist ungewiss, welche Regelungen die EU und der betroffene Staat im Falle eines Austritts erlassen würden. Solche Normen könnten zur Unwirksamkeit oder Undurchsetzbarkeit der vertraglichen Regelungen führen. Von daher können die genannten Regelungsvorschläge das Risiko nachteiliger Konsequenzen zwar deutlich verringern, aber nicht mit Sicherheit ausschließen. Unter welchen Umständen die jeweiligen Regelungsvorschläge greifen könnten, wird nachstehend noch näher erläutert.

Von erheblicher Bedeutung wird sein, ob ein Austritt „geregelt“ oder „ungeregelt“ erfolgt. Ein geregelter Austritt würde mit begleitender Rechtssetzung der EU (und korrespondierenden Regelungen im Austrittsstaat) einhergehen, insbesondere dem Erlass einer Verordnung, die regelt, welche Auswirkungen der Austritt auf bestehende Verträge hat. Im Falle des „ungeregelten“ Austritts würden – mangels (rechtzeitiger) Einigung – keine flankierenden Regelungen auf EU-Ebene erlassen, sondern lediglich nationale Normen im Austrittsstaat.

4. Der „geregelte“ Austritt

Es ist nicht unbedingt zu erwarten, dass Gläubiger in Nicht-Austrittsstaaten im Falle eines geregelten Austritts besser stehen würden als im Falle eines ungeregelten Austritts. Im Wege eines politischen Kompromisses könnte dem betroffenen Staat als Entgegenkommen im Zuge des Austritts vielmehr ein gewisser Schutz der heimischen Wirtschaft und Bevölkerung zugestanden werden.

Um sich vor Augen zu führen, welche Regelungen auf EU-Ebene erlassen werden könnten, ist es hilfreich, sich den Inhalt der Verordnung, die im Zusammenhang mit der Einführung des Euro im Jahr 1997 erlassen wurde, zu vergegenwärtigen („Euro-VO I“). Darin wurde insbesondere der Grundsatz der Vertragskontinuität geregelt. Danach bewirkte die Einführung des Euro keine Schuldbefreiung, rechtfertigte keine Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen und gab keiner Partei das Recht, einen Vertrag einseitig zu ändern oder zu beenden. Allerdings galt die Vertragskontinuität gemäß der Euro-VO I nur „vorbehaltlich etwaiger [abweichender] Vereinbarungen der Parteien“.

Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass im Falle eines geregelten Austritts entsprechende Regelungen erlassen würden. Daneben könnte eine entsprechende EU-Verordnung beispielsweise vorsehen, dass ein Geldschuldner mit Sitz im Austrittsstaat die Befugnis hat, statt in Euro in der neuen Landeswährung zu bezahlen. In diesem Fall würde sich ein Gläubiger (wenn deutsches Recht auf den Vertrag anwendbar wäre) aufgrund der zu erwartenden Abwertung der neuen Landeswährung wohl insbesondere nicht mit dem Argument, es sei eine gemessen an der Kaufkraft höhere Gegenleistung vertraglich geschuldet gewesen, auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können.

Vor allem die entsprechend der Euro-VO I gewährte Parteiautonomie würde jedoch Gestaltungsspielräume eröffnen, da die Parteien beispielsweise vereinbaren könnten, dass eine außerordentliche Kündigung im Falle eines Austritts möglich ist, oder wenn der Schuldner aufgrund der EU-Verordnung nicht mehr verpflichtet ist, in Euro zu bezahlen (siehe oben Regelungsvorschlag 1). Auch eine vertragliche Bestimmung, nach der eine Schuld in jedem Fall in Euro, und nicht in der neuen nationalen Währung zu erfüllen ist, könnte möglicherweise unbeanstandet bleiben (siehe oben Regelungsvorschlag 2). Da die entsprechende EU-Verordnung in Abstimmung mit dem Austrittsstaat erlassen würde, dürften Urteile, die aufgrund solcher vertraglicher Bestimmungen ergehen, auch im Austrittstaat vollstreckbar sein.

5. Der „ungeregelte“ Austritt

Neben der Schaffung einer neuen Währung würde der Austrittsstaat vermutlich Normen erlassen, die insbesondere Zwangsumrechnungskurse, Kapitalverkehrskontrollen sowie Zahlungs- und Verwertungsverbote für in Euro titulierte Forderungen beinhalten. Es ist denkbar, dass die oben genannten Regelungsvorschläge 1 und 2 von den Gerichten des Austrittsstaates nicht anerkannt würden. In solchen Fällen sollte der Schwerpunkt der Bemühungen des Gläubigers darauf liegen, einen Titel eines Gerichts mit Sitz außerhalb des Krisenstaates zu erhalten, und auf dieser Grundlage in etwaiges Vermögen des Schuldners, das außerhalb des Austrittsstaats belegen ist, zu vollstrecken. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten das Sachrecht eines Nicht-Krisenstaates (siehe oben Regelungsvorschlag 3), ein ausschließlicher Gerichtsstand außerhalb des Krisenstaates (siehe oben Regelungsvorschlag 4) sowie ein Erfüllungsort („place of payment“) außerhalb des Krisenstaates (siehe oben Regelungsvorschlag 5) vereinbart werden. Eine alternative Zuständigkeit außerhalb des Krisenstaates würde nicht ausreichen, da die Zuständigkeit der Gerichte des Krisenstaates eröffnet wäre, wenn zunächst dort ein Rechtsstreit anhängig würde.

Die genannten Regelungsvorschläge sollten aus mehreren Gründen (die hier nicht alle im Detail ausgeführt werden können) unbedingt kumulativ umgesetzt werden. Wenn etwa nur der Gerichtsstand außerhalb des Austrittsstaates liegt, aber dessen Sachrecht anwendbar ist und dieses bestimmt, dass Forderungen in der neuen Landeswährung zu erfüllen sind, könnte eine solche Bestimmung vom angerufenen Gericht des Nicht-Austrittsstaates als wirksam beurteilt werden. Wenn bei Anwendung des Sachrechts eines Nicht-Krisenstaates der Gerichtsstand im Austrittsstaat gewählt wird, ist ungewiss, ob das erkennende Gericht die vertraglichen Bestimmungen der Parteien als wirksam beurteilen wird, wenn dies zwingenden nationalen Bestimmungen zuwiderlaufen würde. Schließlich wird durch die Wahl eines Erfüllungsortes außerhalb des Krisenstaates sichergestellt, dass Vorschriften des Austrittsstaates, die die sich auf einen dort gelegenen Erfüllungsort beziehen, keine Anwendung finden. Auch dieser Effekt könnte jedoch durch eine Anwendung des Sachrechts des Austrittsstaates oder durch einen dortigen Gerichtsstand konterkariert werden.

Zwar dürften die genannten nationalen Regelungen größtenteils gegen europarechtliche Bestimmungen verstoßen. Es ist jedoch denkbar, dass mit dem Austritt aus der Euro-Zone beim ungeregelten Austritt auch ein Austritt aus der Europäischen Union einhergeht. Ohnehin würde eine Geltendmachung der Unwirksamkeit der nationalen Bestimmungen auf europarechtlicher Grundlage jedoch mit Unwägbarkeiten und einer langen Prozessdauer verbunden sein.

6. Fazit

Die vorstehenden Ausführungen können sicherlich nur einen Teil der komplexen Problematik einer Abschaffung des Euros in einem Mitgliedsstaat oder eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone beleuchten. Angesichts der vorhandenen Rechtsunsicherheiten, vor allem bezüglich der potentiellen Aktivitäten des betreffenden nationalen sowie des EU-Gesetzgebers im Falle eines Austritts oder Auseinanderbrechens, kann es nicht um einen wasserdichten Schutz, sondern nur um Schadensbegrenzung gehen. In der jetzigen Situation diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, würde allerdings ein erhebliches Versäumnis in der Vertragsgestaltung darstellen.