Nutzung von Geschäfts­chancen durch den geschäfts­führenden Gesell­schafter einer GbR

In einer aktuellen Entscheidung wendet der Bundesgerichtshof (BGH) die so genannte Geschäftschancenlehre auf den geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an. Neben den Besonderheiten des entschiedenen Falles enthält das Urteil auch grundsätzliche Aussagen zu diesem ursprünglich aus dem US-amerikanischen Recht stammenden, selbstständig neben dem Wettbewerbsverbot stehenden Rechtsinstitut. Für die in der Praxis immer wieder vorkommende Situation, dass der Geschäftsführer sich der Gesellschaft bietende Gelegenheiten selber nutzt bzw. nutzen möchte, enthält die Entscheidung interessante Hinweise.

1. Die Geschäftschancenlehre

Ursprünglich im US-amerikanischen Recht als so genannte corporate opportunities doctrine entwickelt, ist heute in Deutschland wie in vielen anderen Rechtsordnungen anerkannt, dass aus der Treuepflicht des Geschäftsleiters das Verbot folgt, Geschäftschancen der Gesellschaft (corporate opportunities) für sich oder eine andere Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zu nutzen. Die Geschäftschancenlehre ist hierzulande primär ein von der Rechtsprechung ausgeformtes Rechtsinstitut. Sie findet zudem aber ausdrückliche Erwähnung im Deutschen Corporate Governance Kodex. Dessen Ziffer 4.3.3 Satz 2 bestimmt, dass kein Mitglied des Vorstands bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen und Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für sich nutzen darf.

Auch wenn die Geschäftschancenlehre sehr eng mit dem Wettbewerbsverbot verwandt ist und häufig Überschneidungen vorliegen werden, sind beide Rechtsinstitute unabhängig voneinander zu beurteilen. Das bedeutet z.B., dass es für die Annahme eines Verstoßes gegen die Geschäftschancenlehre ohne Bedeutung ist, ob der Geschäftsführer einem gesetzlichen oder (gesellschafts-) vertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt. Vereinfacht lässt sich sagen, dass das Wettbewerbsverbot generell eingreift, während sich die Geschäftschancenlehre immer auf konkrete Einzelfälle bezieht. Letzteres bringt mit sich, dass im jeweiligen Fall konkret bestimmt werden muss, ob es sich um eine der Gesellschaft zugeordnete Geschäftschance handelt. Natürlich kann die Gesellschaft auf eine Geschäftschance verzichten und dem Geschäftsführer gestatten, diese für sich privat zu verwerten.

Die Geschäftschancenlehre gilt im Übrigen nicht nur für Geschäftsleiter (Vorstände und Geschäftsführer), sondern erfasst auch den Gesellschafter, der bekanntlich ebenfalls einer Treuepflicht unterliegt. Zu unterscheiden von der hier besprochenen gesellschaftsrechtlichen Geschäftschancenlehre ist die – hier nicht weiter zu erörternde – Geschäftschancenlehre für steuerliche Zwecke, bei der es um die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer geht.

Bei der Anwendung der Geschäftschancenlehre stellen sich – unabhängig von der Rechtsform der Gesellschaft – verschiedene Fragen. Hierzu gehört u.a., was gilt, wenn die Gesellschaft die sich bietende Geschäftschance selber nicht (ohne weiteres) wahrnehmen kann, z.B. weil ihr die erforderlichen finanziellen Mittel oder erforderliche Genehmigungen fehlen. Auch dies war ein Thema in dem aktuellen Fall.

2. Die aktuelle Entscheidung des BGH

a) Sachverhalt

Drei Geschwister gründeten im Jahre 2000 eine BGB-Gesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR), deren Zweck der Erwerb, das Halten und Verwalten von Wohn- und Geschäftsgebäuden sowie unbebauter Grundstücke war. Ihr gehörten und sie vermietete mehrere Büro- und Parkflächen. Der inzwischen nach seiner Kündigung ausgeschiedene beklagte Gesellschafter war allein geschäftsführungs- und vertretungsbefugt. Der Beklagte erfuhr Ende 2004 aus der Zeitung von der Möglichkeit des Erwerbs eines benachbarten Grundstücks, informierte hierüber seine Mitgesellschafter und besprach die Sache mit dem Architekten und Steuerberater der klagenden GbR. Zudem stellte er auf dem Briefpapier der Gesellschaft eine „Bauvoranfrage“ an die zuständige Behörde. Zusammen mit einem Mitgesellschafter besichtigte er im März 2005 das zu erwerbende Grundstück. Die Behörde stimmte der geplanten Nutzung als Parkplatz zu. Auf nachfolgende Anfragen der Behörde reagierte der Beklagte nicht mehr.

Im November 2005 gründete der Beklagte zusammen mit seiner Ehefrau eine GmbH, die dann noch in im gleichen Jahr das Grundstück erwarb und darauf seitdem einen entgeltlichen Parkplatz betreibt. Die GbR klagte daraufhin u.a. auf Herausgabe des Grundstücks Zug-um-Zug gegen Zahlung, Zahlung von Schadensersatz und Feststellung, dass der Beklagte alle weiteren Schäden zu ersetzen habe, die der Klägerin aus der Vereitelung des Erwerbs des Grundstücks entstehen.

b) Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hatte aus prozessualen Gründen Erfolg, in der Sache entschied der BGH aber für die klagende GbR. Die Frage der Übertragbarkeit der Geschäftschancenlehre beantwortete der BGH recht klar mit der Aussage, dass sie zumindest dann den geschäftsführenden Gesellschafter einer GbR treffe, wenn die Gesellschaft eine „Erwerbsgesellschaft“ oder eine „unternehmenstragende“ Gesellschaft ist oder sie gewerblich tätig ist. Unter diesen Voraussetzungen sei die GbR mit der offenen Handelgesellschaft vergleichbar, für deren geschäftsführenden Gesellschafter die Pflicht zur Wahrung von Geschäftschancen vom Gericht unter Zustimmung der herrschenden Meinung in der Literatur anerkannt ist.

Der BGH verwies darauf, dass ein Verstoß gegen die Geschäftschancenlehre einzelfallabhängig sei, nutzt die Gelegenheit aber gleichwohl zur Zusammenfassung seiner bisherigen Rechtsprechung zu diesem Thema: Aus der Treuepflicht des Geschäftsführers folge, dass es ihm ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht gestattet ist, im Geschäftszweig der Gesellschaft Geschäfte für eigene Rechnung zu tätigen oder tätigen zu lassen, oder den Vollzug bereits von der Gesellschaft abgeschlossener Verträge durch Abwicklung auf eigene Rechnung oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen oder zu vereiteln. Geschäfte, die in den Geschäftsbereich der Gesellschaft fallen und der Gesellschaft auf Grund bestimmter konkreter Umstände bereits zugeordnet seien, so der BGH, dürfe der Geschäftsführer nicht an sich ziehen. Bei einem Verstoß mache sich der Geschäftsführer schadensersatzpflichtig.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung, dass der Betrieb eines Parkplatzes in den Geschäftsbereich der GbR fiel, diese Geschäftschance aufgrund der vom Beklagten entfalteten Tätigkeiten bereits der Gesellschaft zugeordnet war und der Beklagte die Geschäftschance an sich gezogen habe, wurde vom BGB nicht beanstandet. Hilfestellung für die Beurteilung, wann eine Zuordnung zur Gesellschaft angenommen werden muss, liefert der BGH mit der Aussage, dass dies grundsätzlich dann der Fall sei, wenn die Gesellschaft als erste mit dem Geschäft in Berührung komme und der Geschäftsführer für die Gesellschaft konkrete Verhandlungen führe.

Dass der Geschäftsführer Kenntnis von der Geschäftschance aus einer allgemein zugänglichen Quelle und damit möglicherweise als Privatperson erlangt hat, gab ihm hier keinen durchgreifenden Einwand. Denn, so der BGH, die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft sei nicht teilbar und nicht von dienstlicher Kenntniserlangung abhängig. Ebenfalls ungehört blieb der Geschäftsführer mit dem Einwand, die Gesellschaft sei finanziell zur Wahrnehmung der Geschäftschance gar nicht in der Lage gewesen. Möglicherweise etwas zu weitgehend hat der BGH insoweit ausgeführt, der Geschäftsführer habe grundsätzlich „alles Erdenkliche zu tun, um diese [Geschäftschance] für die Gesellschaft zu nutzen“. Im konkreten Fall sah der BGH hier beispielsweise die Aufnahme eines „kapitalkräftigen Partners“ als stillen Gesellschafter als eine mögliche Maßnahme.

3. Schlussfolgerungen

Bei einem Streit über die Frage, ob der Geschäftsführer eine Geschäftschance der Gesellschaft unzulässigerweise für sich ausgenutzt hat, ist die Gesellschaft darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Geschäftschance in ihren Geschäftsbereich fällt und im konkreten Fall bereits ihr zugeordnet war. Sofern allerdings der Geschäftsführer eine Freigabe durch die Gesellschaft für sich in Anspruch nimmt, trifft ihn die Beweislast. Dieser wird er regelmäßig dadurch genügen können, dass er einen Beschluss der Gesellschafterversammlung zu dieser Frage herbeiführt.

Die aktuelle Entscheidung zeigt, dass sich der Geschäftsführer nicht darauf verlassen kann, dass eine skeptische Bewertung der Geschäftschance durch die Gesellschaft bzw. ein nicht aktives Verfolgen ohne weiteres wie ein Verzicht behandelt werden kann. Anders ausgedrückt, der Geschäftsführer kann nur davor gewarnt werden, auf eine stillschweigende bzw. konkludente Freigabe zu vertrauen. Es ist daher vor allem im Interesse des Geschäftsführers geboten, durch geeignete entsprechende Dokumentation Klarheit über die Position der Gesellschaft zu schaffen. Dies gilt umso mehr, als der BGH – wie die Entscheidung zeigt – an die Annahme einer Unmöglichkeit der Wahrnehmung durch die Gesellschaft insbesondere wegen fehlender finanzieller Mittel hohe Anforderungen stellt.