Haftung von Geschäftsführern und Vorständen bei Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit

Das OLG München hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung die Haftung eines Geschäftsführers gegenüber der von ihm geleiteten Gesellschaft wegen der Stellung eines Insolvenzantrags bejaht. Das Gericht betont, dass ein Geschäftsleiter gegen den Willen der Gesellschafter keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellen dürfe. Die Entscheidung hat in der Literatur Widerspruch hervorgerufen, und das Rechtsmittelverfahren ist gegenwärtig beim BGH anhängig, weswegen es lohnt, das Urteil einer kritischen Würdigung zu unterziehen.

1. Ausgangslage

Im Falle der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und der (insolvenzrechtlichen) Überschuldung nach § 19 InsO muss der Geschäftsleiter einer Gesellschaft rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann dies zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen (Insolvenzverschleppung) nach sich ziehen. Da die Geschäftsführer (bei der GmbH) bzw. Vorstandsmitglieder (bei der AG) bei diesen Insolvenzgründen zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet sind, ist die Zustimmung der Gesellschafter zur Antragsstellung nicht erforderlich.

Anders ist die Ausgangslage im Rahmen der seit 1999 möglichen Insolvenzantragsstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO. Die betroffene Gesellschaft kann (durch ihre Geschäftsleiter), muss aber in dieser Phase noch keinen Insolvenzantrag stellen. Zweck der Vorschrift ist es, eine frühzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens im Interesse einer erfolgreichen Sanierung zu ermöglichen (nicht aber: zu erzwingen). Da demnach keine Verpflichtung zur Stellung des Antrags besteht, stellt sich die Frage, ob der Antrag im Innenverhältnis zur Gesellschaft einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf. Zu dieser äußerst praxisrelevanten Frage hat sich das OLG München in seiner Entscheidung verhalten.

2. Die Entscheidung des OLG München

Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer Publikums-KG hatte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 1 InsO gestellt. Der daraufhin ergangene Beschluss des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens wurde später auf Antrag der KG aufgehoben. Die KG macht nunmehr gegen den Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH unter anderem Ersatz der Kosten für die vorläufige Insolvenzverwaltung und Gerichtskosten sowie für zahlbare Vorfälligkeitsentschädigungen für die insolvenzbedingte Kündigung von Gesellschafterdarlehen geltend.

Das OLG München bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz, die einen Schadensersatzanspruch der KG aus § 43 Abs. 2 GmbHG bejaht hatte. Das Gericht betont zunächst, dass es sich bei der Frage der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht um eine unternehmerische Entscheidung handele. Wäre dies der Fall, würde die so genannte Business Judgment Rule greifen, die zu einer Haftungsprivilegierung führen würde. Denn im Anwendungsbereich der Business Jugdment Rule hat der Geschäftsleiter (im Sinne einer Erleichterung der Darlegungslast) lediglich darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Entscheidung auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlage sowie ausreichender Information beruhte und er vernünftigerweise annehmen durfte, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Im Rahmen der Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens komme aber die Anwendung der Business Judgment Rule nicht in Betracht, da es sich nicht um eine unternehmerische Entscheidung handele. Denn entweder diene die Stellung des Antrags der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht gemäß § 15a InsO (bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) oder stelle, im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit, ein gesellschaftsrechtliches Grundlagengeschäft im Verantwortungsbereich der Gesellschafter dar.

Selbst wenn man aber einer Mindermeinung folge, die dem Geschäftsleiter im Rahmen der Frage des Vorliegens drohender Zahlungsunfähigkeit einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum zugestehe (insbesondere im Hinblick auf die Schwierigkeit der konkreten Anwendung des Tatbestands der drohenden Zahlungsunfähigkeit) und der Geschäftsleiter deswegen zu Recht von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgehen könne, dürfe er aber gegen den Willen der Gesellschafter keinen Insolvenzantrag stellen, sondern müsse einen Gesellschafterbeschluss einholen. Dieser sei zwar im Außenverhältnis keine Voraussetzung der Antragstellung, der Geschäftsleiter verstoße aber gegen seine Pflichten, wenn er einen entsprechenden Beschluss nicht einhole, da sich mit der Insolvenzantragstellung der Gesellschaftszweck ändere, was ein in die Kompetenz der Gesellschafterversammlung fallendes Grundlagengeschäft darstelle.

Aufgrund dieser Pflichtverletzung sei der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der KG (über die drittschützende Wirkung der Organstellung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH gegenüber der KG) zum Schadensersatz nach § 43 Abs. 2 GmbHG verpflichtet.

3. Die Kritik der Literatur

Während das Urteil des OLG München teilweise Zustimmung gefunden hat (Petrovicki, GWR 2013, 227), haben andere Stimmen hieran Kritik geäußert (Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065 ff.).

Konkret monieren Meyer-Löwy/Pickerill, dass das vom OLG München bestätigte Erfordernis eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses Sanierungsversuche behindere. Denn die Gesellschafter würden bei drohender Zahlungsunfähigkeit (und gleichzeitig gegebener handelsrechtlicher, aber nicht insolvenzrechtlicher Überschuldung) nur dann der Stellung eines Insolvenzantrags zustimmen, wenn sie andererseits (insbesondere im Rahmen eines Debt-Equity-Swaps) eine gewisse „Lästigkeitsprämie“ für ihre handelsrechtlich wertlosen Anteile bekämen. Dies sei nicht sachgerecht, da eine Sanierung dann nur möglich sei, wenn die Gläubiger bereit seien, den Gesellschaftern einen unverdienten Wert zukommen zu lassen. Dieses Blockadepotenzial sei unvereinbar mit den Interessen der wahren „wirtschaftlichen Eigentümer“ des Unternehmens, den Gläubigern.

Dieses Argument wird untermauert mit einem Vergleich zur Rechtslage in den USA, wo stets die Mitglieder des Verwaltungsorgans (board of directors) zur Stellung des Insolvenzantrags befugt seien. Zweck des kürzlich erlassenen ESUG sei es, eine echte Sanierungskultur nach US-amerikanischem Vorbild zu schaffen, was aber aufgrund des vorinsolvenzrechtlichtlichen Blockadepotenzials der Gesellschafter nicht erreicht werde.

4. Stellungnahme

Die im Schrifttum geäußerte Kritik am Urteil des OLG München greift nicht durch. Sie geht bereits von der gänzlich unzutreffenden Prämisse aus, dass die Geschäftsanteile der Gesellschafter im Falle der handelsrechtlichen Überschuldung wirtschaftlich wertlos seien. Das ist jedoch in den meisten Fällen aufgrund des Vorhandenseins erheblicher stiller Reserven im Rahmen der Bilanzierung nach deutschem HGB nicht der Fall. Wertlos sind die Geschäftsanteile regelmäßig nur im Falle einer (auch) insolvenzrechtlichen Überschuldung. Wenn diese vorliegt, ist der Geschäftsleiter aber ohnehin auch ohne Zustimmung der Gesellschafter zur Stellung des Insolvenzantrags befugt (und verpflichtet).

Wenn demnach die Konstellation des vom OLG München entschiedenen Fall gegeben ist und nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit, nicht aber eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt, sind auch nicht, wie Meyer-Löwy/Pickerill meinen, die Gläubiger die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens, sondern nach wie vor die Gesellschafter. Wenn diese der Stellung eines Insolvenzantrags nicht zustimmen, kann ihnen nicht vorgeworfen werden, dass sie auf eine ungerechtfertigte Lästigkeitsprämie aus seien oder sanierungswidrig Blockadepotenzial geltend machen würden. Vielmehr schützen sie den – im Falle der allenfalls handelsrechtlich, keinesfalls aber insolvenzrechtlich vorliegenden Überschuldung – lediglich ihre nach wie vor werthaltigen Geschäftsanteile vor einer Enteignung bzw. Entwertung, die aufgrund der Stellung eines Insolvenzantrags durch die Geschäftsführer eintreten könnte.

Meyer-Löwy/Pickerill bleiben auch eine Antwort auf die naheliegende Frage schuldig, ob ein Zustimmungserfordernis der Gesellschafterversammlung nach ihrer Auffassung wenigstens dann gegeben sein soll, wenn noch nicht einmal eine handelsbilanzielle Überschuldung, wohl aber eine drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben ist. Wie erwähnt ist allerdings im Rahmen der Insolvenzantragspflichten die handelsbilanzielle Situation ohnehin irrelevant, was Meyer-Löwy/Pickerill verkennen.

Auch ein Vergleich mit der Rechtslage in den USA hilft nicht weiter, da dort die Insolvenzantragstatbestände gänzlich anders ausgestaltet sind als im deutschen Recht. Richtig ist zwar, dass in den USA das Verwaltungsorgan nicht mehr den Gesellschaftern, sondern den Gläubigern verpflichtet ist, wenn das Unternehmen wertlos ist. Das ist aber auch im deutschen Recht nicht anders, weil dann eine Verpflichtung der Geschäftsleitung zur Insolvenzantragstellung besteht, und hat mit der Berechtigung zur Stellung eines Insolvenzantrags bereits wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nichts zu tun.

Das OLG München hat somit zu Recht festgestellt, dass vor der Stellung eines Insolvenzantrags (nur) wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ein zustimmender Gesellschafterbeschluss einzuholen ist. Ob die Auffassung des OLG zutreffend ist, dass die Business Judgment Rule bezüglich der Frage, ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, nicht anwendbar ist, ist im vorliegenden Fall letztlich nicht entscheidungserheblich gewesen. Unseres Erachtens sprechen die besseren Gründe gegen eine Anwendung der Business Judgment Rule. Denn nicht jede schwierige Entscheidung ist notwendigerweise eine „unternehmerische“.

5. Fazit

Im Ergebnis hat das OLG den betreffenden Fall demnach zutreffend gelöst. Zweck der Möglichkeit der Insolvenzantragsstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ist es, frühzeitige Sanierungsversuche zu ermöglichen, nicht aber, eine Enteignung der Gesellschafter gegen ihren Willen durch die Geschäftsführung möglich zu machen. Es ist zu erwarten, dass das Urteil vor dem BGH Bestand haben wird.