Keine zivilrechtlichen Ansprüche bei unterlassenem Pflichtangebot

Nach § 35 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) ist derjenige, der die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt hat (also mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an ihr hält), verpflichtet, diesen Umstand zu veröffentlichen und ein Angebot zum Erwerb der übrigen Aktien der Zielgesellschaft abzugeben (sog. Pflichtangebot). Sinn dieser Vorschrift ist der Schutz der Minderheitsaktionäre, die auch im Falle eines Kontrollerwerbs außerhalb eines Übernahmeangebots die Möglichkeit haben sollen, ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis zu veräußern.

Was passiert jedoch, wenn der Kontrollerwerber die Abgabe eines Pflichtangebots unterlässt? Welche Schutzmöglichkeiten haben in einem solchen Fall die außenstehenden Minderheitsaktionäre? In einer kürzlich ergangenen Entscheidung konnte der Bundesgerichtshof (BGH) zu diesen Fragen Stellung beziehen.

1. Ausgangssituation

Der Entscheidung des BGH lag vereinfacht der folgende Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin, eine Aktionärin der B-AG, nahm die Beklagte auf Zahlung von 987.000 EUR Zug-um-Zug gegen Überlassung von 300.000 Aktien der B-AG in Anspruch, hilfsweise auf Zahlung von Zinsen in derselben Höhe.

Dies begründet die Klägerin damit, dass die Beklagte kein Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 WpÜG veröffentlicht habe. Dazu sei sie jedoch verpflichtet gewesen, da sie die Kontrolle über die B-AG durch Erwerb von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft erlangt hätte. Die Klage blieb in den der Entscheidung des BGH vorangegangenen Instanzen erfolglos.

2. Entscheidung des BGH

Der BGH nahm die Entscheidung (Urteil vom 11.6.2013 – II ZR 80/12) zum Anlass, zu verschiedenen, teilweise bisher ungeklärten und in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstrittenen Fragen Position zu beziehen.

a) Keine Anspruch auf „Abnahme“ der Aktien gegen Geldzahlung

Der BGH führte zunächst aus, dass es keinen zivilrechtlichen Anspruch des einzelnen Aktionärs gegen den Kontrollerwerber auf „Abnahme“ seiner Aktien gegen Zahlung einer angemessenen Gegenleistung gebe.

Insbesondere folge aus § 35 Abs. 2 WpÜG kein Anspruch der Aktionäre der Zielgesellschaft gegen den Kontrollerwerber auf Zahlung einer Gegenleistung für die von ihnen gehaltenen Aktien, wenn der Kontrollerwerber kein Pflichtangebot abgegeben habe. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes folge eine derartige Auslegung.

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen: Bereits aus dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 WpÜG lassen sich keine Anhaltspunkte für einen eigenständigen Anspruch der Aktionäre entnehmen. Ein solcher Anspruch könnte überdies jedenfalls nur so weit gehen, wie die in der betreffenden Norm statuierte Pflicht: also auf Abgabe eines Pflichtangebots, nicht aber auf Erbringung der Gegenleistung. Im Hinblick auf den Willen des historischen Gesetzgebers führt der BGH zudem zutreffend aus, dass dieser davon ausgegangen sei, dass das Sanktionsregime im Falle eines unterlassenen (bzw. verspäteten) Pflichtangebots nur bestehe aus der Ahndungsmöglichkeit als Ordnungswidrigkeit durch die Aufsicht nach § 60 WpÜG, dem zivilrechtlichen Rechtsverlust nach § 59 WpÜG (also dem Verlust des Stimmrechts aus den gehaltenen Aktien für den Zeitraum, in dem der Pflichtangebotspflicht nicht nachgekommen wird) und grundsätzlich auch dem Zinsanspruch nach § 38 WpÜG (vgl. dazu aber sogleich). Eine Sanktionierung des Bieters durch Gewährung von Zahlungsansprüchen sei dagegen nicht vorgesehen.

Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 2 WpÜG. Letztere Norm sei kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Für eine Schutzgesetzeigenschaft reiche noch nicht aus, dass die Vorschrift (auch) dem Schutz der Aktionäre diene. Entscheidend sei, ob sie bei einer Gesamtwürdigung des Regelungszusammenhangs die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll erscheinen lasse. Das sei aber nicht der Fall, da § 35 Abs. 2 WpÜG kapitalmarktrechtlichen Funktionsschutz, nicht aber individuelle Schadensersatzansprüche sicherstellen wolle.

b) Kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen

In der konkreten Situation soll nach der Auffassung des BGH der Klägerin aber auch nicht der (hilfsweise) geltend gemachte Zinsanspruch aus § 38 WpÜG zustehen. Es sind also für die Dauer des Verstoßes (Nichtabgabe des Pflichtangebots) keine Zinsen auf die Gegenleistung in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz angefallen. Hierfür fehle es bei einem nicht veröffentlichten Pflichtangebot an der (erforderlichen) Hauptleistung.

Auch diese Auffassung überzeugt. Gleichfalls ist damit nunmehr die umstrittene Frage geklärt, ob der Zinsanspruch des § 38 Nr. 2 WpÜG akzessorisch ist und deswegen nur dann besteht, wenn ein Pflichtangebot auch tatsächlich abgegeben wird. Nach dem BGH besteht eine solche Akzessorietät, und auch hierfür lässt sich der Wortlaut der Norm anführen („Zinsen auf die Gegenleistung“). Ein solcher Anspruch steht einem Aktionär also nur dann zu, wenn ein Pflichtangebot zwar zu spät, aber dennoch tatsächlich veröffentlich worden ist und der Aktionär es angenommen hat.

c) Befugnis der BaFin zu Erzwingung der Abgabe eines Pflichtangebots?

Nach vorstehenden Ausführungen stellt sich natürlich die (in vorliegendem Fall nicht entscheidungsrelevante) Frage, ob Aktionäre auf anderem Wege die Abgabe eines Pflichtangebots durchsetzen können. Der BGH bezog zu dieser Frage nicht ausdrücklich Stellung, allerdings erkennt die wohl überwiegende Meinung in der juristischen Literatur die Befugnis der BaFin an, ein Pflichtangebot mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Praktisch erprobt ist diese Fallkonstellation freilich noch nicht. Minderheitsaktionären bleibt dann lediglich die Möglichkeit, durch Mitteilung des Sachverhalts an die BaFin und Aufforderung, mit den ihr zur Verfügung stehenden hoheitlichen Mitteln auf die Einhaltung der Bestimmungen des WpÜG und notfalls auch die Durchsetzung eines Pflichtangebots hinzuwirken, faktischen Rechtsschutz zu erreichen.

3. Auswirkungen in der Praxis

In der Praxis ist unseres Erachtens trotz des Fehlens eines einklagbaren Anspruchs der Aktionäre auf Gegenleistung die Abgabe eines Pflichtangebots ausreichend sicher gestellt. So kann, wie ausgeführt, nach der überwiegenden Ansicht in der juristischen Literatur die BaFin im Rahmen der allgemeinen Missstandsaufsicht nach § 4 Absatz 1 Satz 3 WpÜG die Abgabe des Pflichtangebots anordnen und mit Zwangsmitteln durchsetzen.

Weiter unterliegt der Kontrollerwerber für den Zeitraum bis zur Abgabe eines Pflichtangebots einem Rechtsverlust für die betroffenen Aktien nach § 59 WpÜG und kann mit einer Geldbuße von bis zu 1 Mio. EUR belegt werden (vgl. § 60 I Nr. 1a, III WpÜG). Diese Mechanismen sichern ausreichend die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte und führen dazu, dass die Nichtabgabe eines Pflichtangebots die seltene Ausnahme und kein regelmäßig zwischen potentiellem Kontrollerwerber und seinem Berater diskutiertes Instrument der Transaktionsstrukturierung bleiben dürfte.