Die vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern – Rechtssicherheit durch den BGH

In einer für die Praxis wichtigen und im Schrifttum bislang kontrovers beurteilten Frage hat der BGH jüngst klar Position bezogen und Rechtssicherheit geschaffen. Er hält die erneute Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft nach zuvor erfolgter einverständlicher Amtsniederlegung auch außerhalb der Jahresfrist des § 84 I 3 AktG für zulässig und sieht darin keine Umgehung dieser Norm.

I. Einleitung

Vorstandsmitglieder werden vom Aufsichtsrat für jeweils höchstens fünf Jahre bestellt bzw. wiederbestellt. Der erforderliche Beschluss des Aufsichtsrats über eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit des Vorstands darf gemäß § 84 I 3 AktG frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden.

In der Praxis kommt es jedoch nicht selten zu der Situation, dass bereits im Vorfeld dieser Jahresfrist eine Anpassung der Amtszeit des Vorstands gewünscht wird, beispielsweise um ihn bei Vorliegen eines Konkurrenzangebots durch eine erneute Bestellung länger als die noch verbleibende Amtszeit an die Gesellschaft zu binden. Andere denkbare Gründe für eine vorzeitige Wiederbestellung sind beispielsweise die „Beförderung“ zum Vorstandsvorsitzenden, die Übertragung eines neuen Vorstandsressorts oder einer neuen Aufgabe, die das betreffende Vorstandsmitglied innerhalb der neu festgesetzten Amtszeit umsetzen soll (z.B. eine Sanierung). Auch eine anstehende oder gerade erfolgte grundlegende Änderung des Aktionärskreises kann Anlass zu einer vorzeitigen Wiederbestellung geben.

Die Zulässigkeit einer erneuten Bestellung des Vorstands nach zuvor erfolgter einvernehmlicher Aufhebung der bisherigen Bestellung wurde bisher in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Höchstrichterliche Rechtsprechung lag bisher zu dieser Frage nicht vor.

II. Sachverhalt

Mit der Frage der Zulässigkeit einer vorzeitigen Wiederbestellung hatte sich nun auch der BGH zu beschäftigen. Beide Vorinstanzen waren in der Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Der von den Gerichten zu beurteilende Sachverhalt war wie folgt:

Der Kläger wurde im August 2008 Aufsichtsrat der beklagten Aktiengesellschaft, deren Aktionärskreis sich aus zwei miteinander in Konflikt stehenden Familienstämmen zusammensetzt. Zwei der insgesamt vier Vorstände der Aktiengesellschaft, die einem der Stämme zuzurechnen waren, wurden 2005 bzw. 2006 jeweils für die Dauer bis Januar 2010 bestellt. Im Juli 2007 beschloss der Aufsichtsrat einstimmig, die Bestellung der beiden Vorstände einvernehmlich aufzuheben und sie erneut für die Dauer von fünf Jahren zu Vorständen zu bestellen. Am darauffolgenden Tag wurde auf der Hauptversammlung ein neuer Aufsichtsrat gewählt. Eine danach versuchte Abberufung der beiden Vorstände scheiterte an einer Pattsituation im Aufsichtsrat.

Die auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 84 I 3 AktG gerichtete Klage griff die Beschlüsse des Aufsichtsrats der beklagten Aktiengesellschaft an, mit denen ca. zweieinhalb Jahre vor Ablauf der Amtsdauer der zwei Vorstände nach einvernehmlicher Amtsniederlegung deren Neubestellung für jeweils fünf Jahre erfolgte.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Es stützte sich dabei auf die Ansicht, dass eine vorzeitige Wiederbestellung jedenfalls bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig sei, die hier vorgelegen hätten. Gegen die Entscheidung legte das klagende Aufsichtsratsmitglied erfolgreich Berufung ein. Das OLG Zweibrücken als Berufungsgericht begründete seine Entscheidung u.a. mit den Erwägungen, dass eine verantwortungsbewusste Prüfung der Weiterbeschäftigung eines Vorstandsmitglieds verlange, dass der Aufsichtsrat auf einen gewissen Zeitraum zurückblicken kann, womit die Möglichkeit einer beliebigen Kürzung der Amtsdauer nicht vereinbar sei. Nur so sei der Normzweck von § 84 I 3 AktG, die Sicherung der Personalkompetenz des Aufsichtsrats, gewahrt.

III. Die Entscheidung des BGH

Der BGH wiederum trat den Erwägungen des Berufungsgerichts entgegen und entschied, dass die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einer einverständlichen Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer grundsätzlich zulässig ist. Dies stelle, so der BGH, auch dann keine unzulässige Umgehung des § 84 I 3 AktG dar, wenn für eine solche Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind.

Zur Begründung führt der BGH zunächst aus, dass § 84 I 3 AktG dem Wortlaut nach bei einer der Neubestellung vorausgegangenen einvernehmlichen Aufhebung der Bestellung eingehalten ist, da es zur Beendigung der bisherigen Amtszeit gekommen ist und die Neubestellung damit erst nach dessen Ablauf erfolgt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Vorstände ihr Einverständnis mit der Aufhebung der Bestellung erst nach dem Aufsichtsratsbeschluss betreffend die vorzeitige Wiederbestellung erklärt hatten, da letzterer erkennbar nur insoweit haben gelten sollen, als die Vorstände an der Aufhebung mitwirken würden.

Daneben sieht der BGH in einem solchen Vorgehen aber auch keine unzulässige Umgehung der Norm. § 84 I 3 AktG solle, wie die Entstehungsgeschichte zeige, „lediglich“ sicherstellen, dass der Aufsichtsrat mindestens alle fünf Jahre einen Beschluss über die erneute Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit fasst. Dem Aufsichtsrat solle die Möglichkeit gegeben werden, sich spätestens nach fünf Jahren ohne einen wichtigen Grund und ohne Pflicht zur Zahlung einer Abfindung von dem Vorstandsmitglied trennen zu können. Diese Ziele würden durch eine vorzeitige Wiederbestellung nicht unterlaufen.

Darüber hinaus sah der BGH auch keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs. Es komme in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Aufsichtsrat wichtige Gründe für die vorzeitige Neubestellung habe. Entscheidend sei, inwiefern er rechtsmissbräuchliche Motive verfolge, was vorliegend nicht anzunehmen sei. Insbesondere habe sich der Streit unter den beiden Familienstämmen auf den Beschluss betreffend die Wiederbestellung der Vorstandsmitglieder offensichtlich nicht ausgewirkt.

IV. Stellungnahme

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Nach allen Auslegungsmethoden bietet die Neubestellung unter gleichzeitiger Aufhebung keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 84 I 3 AktG. Wortlaut, Gesetzgebungsgeschichte und ratio legis der Norm führen richtigerweise nicht zum Verdikt der Nichtigkeit entsprechender Beschlüsse des Aufsichtsrats von Aktiengesellschaften.

Insbesondere stellt ein entsprechendes Verfahren keine Beeinträchtigung der Personalkompetenz des (zukünftigen) Aufsichtsrats dar, da ein Recht des jeweiligen Aufsichtsrats, sich „seine“ Vorstandsmitglieder auszusuchen, im Aktiengesetz nicht angelegt ist. Die Amtszeiten von Vorstand und Aufsichtsrat sind gerade nicht synchron „getaktet“. Das insbesondere vom Berufungsgericht vorgebrachte Argument, § 84 I 3 AktG solle gewährleisten, dass der Aufsichtsrat erst dann über eine erneute Bestellung beschließt, wenn diese ansteht, da nur so die Leistung des Vorstands in der Vergangenheit nach aktuellem Stand beurteilt werden könne, ist vor dem Hintergrund, dass das Gesetz nicht zu einer Ausschöpfung der jeweiligen maximalen Bestellungsdauer zwingt, ebenfalls wenig überzeugend.

Auch ein wichtiger Grund für die vorzeitige Neubestellung ist richtigerweise nicht erforderlich. Als Korrektiv ist vielmehr mit dem BGH darauf abzustellen, ob der in Rede stehende Aufsichtsratsbeschluss Motive verfolgt, die sich vor dem Hintergrund der Treuepflicht des Aufsichtsrats der Gesellschaft gegenüber als rechtsmissbräuchlich erweisen. Wie der BGH ausführt, bedarf es hierzu mehr, als die Abwesenheit eines wichtigen Grundes für die vorzeitige Neubestellung. Die durch das Korrektiv des Rechtsmissbrauchs gesetzte Grenze für eine unzulässige vorzeitige Wiederbestellung ist also deutlich weiter, als wenn das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Wirksamkeitsvoraussetzung erhoben worden wäre.

V. Praktische Auswirkungen und Fazit

Auch wenn bis zur Geltendmachung von Beschlussmängeln betreffend die Bestellung eines Mitglieds des Vorstands das Organverhältnis als wirksam anzusehen ist, also eine mögliche Unwirksamkeit der Bestellung nicht in der Zwischenzeit gefasste Vorstandsbeschlüsse in Mitleidenschaft zieht, war die Situation vor der aktuellen Entscheidung des BGH sowohl für die Gesellschaft, insbesondere aber für das betroffene Vorstandsmitglied wenig zufriedenstellend. Das Vorstandsmitglied hatte nämlich mit der Unsicherheit zu leben, dass seine Bestellung möglicherweise nichtig war und der Aufsichtsrat deshalb jederzeit die Organstellung ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes durch einfachen Beschluss beenden konnte. Diese Unsicherheit ist durch die vorliegende Entscheidung überwunden. Unternehmen können nun auf rechtlich gesichertem Boden in entsprechenden Szenarien reagieren.

Die Befürchtung, dass dies zu einer beliebigen Ausübung der Möglichkeit zur Neubestellung oder mangelnden Ernsthaftigkeit bei der anzustellenden Prüfung führt, scheint vor dem Hintergrund der auch hier geltenden allgemeinen Sorgfaltspflicht der Aufsichtsräte und der finanziellen Auswirkungen für die Gesellschaft unbegründet. In der Praxis wird daher regelmäßig wie bisher auch ein (wichtiger) Grund für eine vorzeitige Wiederbestellung vorliegen.