Die Reform der Erbschaftsteuer –
ein Zwischenstand nach dem Urteil des Bundesverfassungs­gerichts vom 17.12.2014

Mit Urteil vom 17.12.2014 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die geltenden erbschaftsteuerlichen Regelungen zur Verschonung betrieblichen Vermögens (§§ 13a, 13b ErbStG) für verfassungswidrig erklärt. Schon im Februar 2015 stellte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble daraufhin Eckpunkte für eine Reform des Erbschaftsteuergesetzes vor und löste damit eine intensive politische Debatte aus, die noch andauert.

1. Ausgangspunkt: Grundkonzeption des Erbschaftsteuergesetzes 2009

Konzeptionell verfolgt das Erbschaftsteuergesetz 2009 den Ansatz, grundsätzlich alle Vermögensübertragungen mit den gleichen, im internationalen Vergleich eher hohen Steuersätzen zu besteuern. Im Gegenzug werden bestimmte als förderungswürdig angesehene Vermögensübertragungen ganz oder teilweise von der Besteuerung ausgenommen. So ist betriebliches Vermögen unter bestimmten Voraussetzungen zu 85 % (Regelverschonung) bzw. 100 % (sog. Optionsverschonung) von der Erbschaftsteuer befreit. Plastisch wird dies anhand konkreter Zahlen (gerundet): Wer nicht betriebliches Vermögen im Wert von EUR 100 Mio. erbt, zahlt darauf je nach Steuerklasse zwischen EUR 29,5 Mio. und EUR 50 Mio. Erbschaftsteuer. Wer begünstigtes betriebliches Vermögen im Wert von EUR 100 Mio. erbt, zahlt im besten Fall EUR 0 und im schlechtesten Fall EUR 4 Mio. Erbschaftsteuer, und zwar unabhängig von der Steuerklasse. Im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) hatte der Bundesfinanzhof diese Verschonungsregelungen dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.

2. Das Urteil des BVerfG

In seinem Urteil vom 17.12.2014 gestand das BVerfG dem Gesetzgeber grundsätzlich einen Entscheidungsspielraum zu, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen, wobei aus Sicht des Gerichts auch eine vollständige Verschonung von Erbschaftsteuer verfassungskonform sein kann. Die konkrete Ausgestaltung der Betriebsvermögensprivilegierung in §§ 13a, 13b ErbStG sah das BVerfG jedoch wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig an. Folgende drei Aspekte waren insoweit aus Sicht des Gerichts maßgeblich:

  • Anwendungsbereich der Lohnsummenregelung: Die Übertragung eines Betriebes wird erbschaftsteuerlich nur begünstigt, soweit die Lohnsumme des Betriebes in den 5 Jahren nach Vermögensübergang insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme (Regelverschonung) bzw. in den 7 Jahren nach Vermögensübergang 700 % der Ausgangslohnsumme (Optionsverschonung) nicht unterschreitet. Diese sog. Lohnsummenregelung gilt allerdings nur für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten. Dem BVerfG zufolge haben jedoch 90% aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte, so dass der Regelfall (Lohnsummenregelung) zur Ausnahme wird und Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten unverhältnismäßig privilegiert würden. In der mündlichen Verhandlung ließ das BVerfG erkennen, dass die Grenze für die Anwendbarkeit der Lohnsummenregelung jedenfalls bei unter 10 Beschäftigten liegen müsse; im Urteil taucht diese Konkretisierung leider nicht auf.
  • Verwaltungsvermögen 50 %-Grenze: Die „Alles-oder-Nichts“-Regelung des ErbStG, wonach bis zu 50 % des begünstigten Vermögens eines Unternehmens aus unproduktivem sog. Verwaltungsvermögen (z.B. Wertpapiere) bestehen können, ohne dass die erbschaftsteuerliche Privilegierung verloren geht, sah das BVerfG ebenfalls als gleichheitswidrig an. Besonders moniert wurde, dass sich durch Kaskadeneffekte die gleichheitswidrige Begünstigung von Verwaltungsvermögen in mehrstöckigen Konzernstrukturen sogar noch weiter verstärken kann.
  • Bedürfnisprüfung: Als unverhältnismäßig qualifizierte das BVerfG ferner die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreift. Hier erreiche die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen sei. Offen gelassen hat das BVerfG, ob für die Bedürfnisprüfung auch auf das übrige Vermögen des Erben abzustellen ist.

3. Neuregelung bis spätestens zum 30. Juni 2016

Bis zum 30.06.2016 hat der deutsche Gesetzgeber Zeit, eine verfassungskonforme Neuregelung des ErbStG in Kraft zu setzen. Bis dahin sind die aktuellen Regelungen weiterhin anwendbar. Dem Vernehmen nach strebt die Bundesregierung den Erlass eines neuen Erbschaftsteuergesetzes noch im Jahr 2015 an. Der Gesetzgeber ist bei seiner Neuregelung nicht daran gehindert, eine Rückwirkung bis zum Tag der Urteilsverkündung (17.12.2014) anzuordnen, soweit eine „exzessive Ausnutzung“ (so das BVerfG) der gleichheitswidrigen §§ 13a, 13b ErbStG vorliegt. In der Praxis wird somit darauf zu achten sein, inwieweit eine steueroptimierte Nachfolgeplanung als „exzessive Ausnutzung“ dieser Regelungen anzusehen sein könnte. Bei einer Vermögensnachfolge unter Lebenden sollte überdies eine Rückforderungsklausel für den Fall einer nicht antizipierten Erbschaftsteuerfestsetzung durch das Finanzamt vereinbart werden.

4. Aktueller Stand der Reformdiskussion

Die Grundkonzeption des ErbStG 2009 – Hochbesteuerung bei gleichzeitiger Privilegierung bestimmter Vermögensarten – wird auch nach dem Urteil des BVerfG voraussichtlich nicht angetastet werden. Vereinzelte Vorstöße in diese Richtung aus von Grünen und Teilen der SPD sind jedenfalls ohne Resonanz geblieben. Nach dem Willen der Regierungsparteien soll vielmehr an dem bisherigen Grundkonzept festgehalten und nur die vom BVerfG beanstandeten Punkte korrigiert werden. Wünschenswert wäre, dass dabei auch gleich einige im Urteil des BVerfG nicht angesprochene Schwächen des ErbStG beseitigt werden, etwa die nach der positiven wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahren regelmäßig zu hohen Bewertungen nach dem sog. vereinfachten Ertragswertverfahren, das nach dem ErbStG die Regelbewertung darstellt und die bisher unzulässige Berücksichtigung individueller Wertminderungen wie z.B. Verfügungs- und Entnahmebeschränkungen in Gesellschaftsverträgen. Die politische Diskussion kreist aktuell insbesondere um die Frage, wann ein Unternehmen als „groß“ anzusehen ist, so dass dessen Erben – wie vom BVerfG gefordert – nicht mehr ohne Bedürfnisprüfung in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Privilegierung kommen. Bundesfinanzminister Schäuble hat in seinem Eckpunktepapier zur Reform des Erbschaftsteuergesetzes vorgeschlagen, je Erbe eine Freigrenze von EUR 20 Mio. einzuführen, bei deren Überschreiten eine Bedürfnisprüfung vorzunehmen ist. In die Bedürfnisprüfung soll auch 50 % des privaten Vermögens des Erben einbezogen werden. Begründet wird die Freigrenze insbesondere damit, dass 2013 etwa 98 % der Unternehmen unterhalb dieser Wertgrenze gelegen hätten. Damit bleibt das Finanzministerium deutlich hinter den Forderungen der Wirtschaftsverbände zurück, die vorgeschlagen hatten, eine Bedürfnisprüfung erst ab einem Betrag von EUR 300 Mio. je Erwerb vorzunehmen. Es bleibt abzuwarten, wie der Streit um die Auswirkungen der Erbschaftsteuerreform ausgeht. Konservative Länderfinanzminister rechnen jedenfalls fest damit, dass es an den Eckpunkten von Finanzminister Schäuble noch Korrekturen geben wird.