Neues im Aktienrecht – Leitsätze für den Dialog zwischen Investoren und Aufsichtsrat

Die direkte Kommunikation zwischen Investoren und Aufsichtsrat, wie sie vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis seit langem als Teil der guten Unternehmensführung – „Good Corporate Governance“ – rechtlich anerkannt und in der Praxis fest verankert ist, rückt zunehmend auch in Deutschland in den Blickpunkt der Aktien- und Konzernrechtspraxis. So haben in den vergangenen Jahren verstärkt auch deutsche Aktiengesellschaften den regelmäßigen Kontakt zu institutionellen Investoren mit wesentlichen Beteiligungen gesucht, um sich persönlich mit ihnen auszutauschen. Insbesondere in den Gesellschaften des DAX 30 können Einzelgespräche zwischen Investoren und Aufsichtsrat mittlerweile durchaus als fester Bestandteil der Unternehmensführung angesehen werden.

Der rechtliche Rahmen eines unmittelbaren Dialogs zwischen Investoren und Aufsichtsrat ist in Deutschland und in der Europäischen Union bislang nicht eindeutig definiert. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Die Investoren können sich aus erster Hand über den von ihnen gewählten Aufsichtsrat und dessen Arbeit informieren, was in der jährlichen Hauptversammlung in der Regel nicht in ausreichendem Maße möglich ist. Der Aufsichtsrat wiederum kann sich einen unverfälschten Eindruck über die Meinungen und Stimmungen im Aktionärskreis verschaffen, namentlich bei wichtigen Ankeraktionären der Gesellschaft. Daneben besteht für ihn insbesondere die Möglichkeit, ausländischen Investoren im persön-lichen Gespräch das für sie meist unbekannte dualistische deutsche Verwaltungssystem näherzubringen, gegebenenfalls unter Einbeziehung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Dies dient einer nachhaltigen Verbesserung der Transparenz sowie der Schaffung und Vertiefung gegenseitigen Vertrauens.

Um den Dialog zwischen Aufsichtsräten und institutionellen Investoren so fruchtbar wie möglich zu gestalten, hat sich eine Gruppe aus hochrangigen Unternehmens- und Investorenvertretern sowie Vertretern der Wissenschaft zur Initiative „Developing Shareholder Communication“ zusammengeschlossen. Im Juli 2016 hat die Initiative acht Leitsätze veröffentlicht, die Unternehmen und Investoren eine Orientierungshilfe im Hinblick auf den persönlichen Austausch zwischen Investoren und Aufsichtsrat geben sollen. Allerdings verstehen sich die Leitsätze nicht als starres Regelwerk, sie wollen vielmehr einen flexiblen Rahmen vorgeben, um den Dialog zwischen Investoren und Aufsichtsrat im Einklang mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung auf die jeweilige spezifische Unternehmenssituation anzupassen. Mit den Leitsätzen will die Initiative zum einen eine informierte Diskussion über das Thema „Aufsichtsratskommunikation mit Investoren“ anstoßen, zum anderen vor dem Hintergrund des regulatorischen Rahmens den Erwartungen von Investoren an deutsche Unternehmen Rechnung tragen und schließlich über eine sich stetig fortentwickelnde Praxis des Dialogs zwischen Investoren und Aufsichtsräten informieren, ohne unternehmerische Handlungsfreiheiten zu beschränken.

  • Die Kernaussagen der acht Leitsätze lauten wie folgt:Die generelle Entscheidung über den Eintritt in einen Dialog mit Investoren obliegt dem Aufsichtsrat, hinsichtlich eines konkreten Dialogs dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Der Dialog umfasst ausschließlich Themen, die in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fallen (Leitsatz 1).
  • Gegenstand einer Diskussion können etwa die Zusammensetzung und Vergütung des Aufsichtsrats sein (Leitsatz 2), die Binnenorganisation des Aufsichtsrats, die Effizienzprüfung und die daraus getroffenen Maßnahmen sowie die Ausgestaltung der Mitwirkungs- und Überwachungsprozesse im Aufsichtsrat (Leitsatz 3), die Bestellung der Mitglieder des Vorstands und die Geschäftsverteilung im Vorstand sowie die Vergütung (Leitsatz 4), die überwachende und mitwirkende Rolle des Aufsichtsrats im Strategieprozess und seine Einschätzung der Strategieumsetzung durch den Vorstand (Leitsatz 5) sowie die Anforderungskriterien und Meinungsbildung für die Auswahl des Abschlussprüfers (Leitsatz 6).
  • Die unmittelbare Kommunikation mit einem Investor führt der Aufsichtsratsvorsitzende. Er kann weitere Aufsichtsratsmitglieder (etwa Ausschussvorsitzende), den Vorstandsvorsitzenden oder andere Mitglieder des Vorstands zu einem Dialog hinzuziehen; er informiert den gesamten Aufsichtsrat über die Gespräche (Leitsatz 7).
  • Der Aufsichtsrat bespricht mit dem Vorstand die Grundsätze für die Ausgestaltung eines Dialogs zwischen Investoren und Aufsichtsrat (Leitsatz 8).

Die Leitsätze bringen jeweils klar zum Ausdruck, dass die Gespräche zwischen Investoren und Aufsichtsrat zu einzelnen Themenkomplexen stets auf die jeweiligen Grundsätze beschränkt sind. Etwa sollen hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats keine konkreten Wahlvorschläge oder Einzelkandidaten besprochen werden; Entsprechendes gilt für die Besetzung des Vorstands. Auch soll etwa von einer Diskussion der Ergebnisse der Effizienzprüfung im Hinblick auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder abgesehen werden.

Die Leitsätze zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Investoren und Aufsichtsrat fügen sich gut in die aktuelle Corporate-Governance-Diskussion ein. So sieht die geplante Novellierung der EU-Aktionärsrechterichtlinie vor, dass institutionelle Investoren künftig eine aktivere Rolle in der Überwachung börsennotierter Unternehmen übernehmen sollen. Um diese Aufgabe angemessen ausfüllen zu können, ist ein intensiver Dialog mit dem Aufsichtsrat als dem zentralen Überwachungsorgan nötig.

Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) soll dieses Thema aufnehmen und in der anstehenden Überarbeitung im Jahr 2017 entsprechend angepasst werden. Die am 2. November 2016 veröffentlichten Änderungsvorschläge – mit dem generellen Ziel einer „weiteren Professionalisierung der Aufsichtsarbeit“ – sehen in Ziffer 5.2 eine neue Empfeh-lung vor, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessenem Rahmen bereit sein soll, mit Investoren Gespräche über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen. Dies sind Gegenstände, für die der Aufsichtsrat allein verantwortlich ist und die von ihm alleine zu entscheiden sind. Hingegen sollen bei Fragen, die nur gemeinsam von Vorstand und Aufsichtsrat zu entscheiden sind, Gespräche entweder alleine vom Vorstand oder vom Aufsichtsratsvorsitzenden zusammen mit dem Vorstand geführt werden.

Es bleibt weiterhin spannend, in welche Richtung sich das Thema um den Dialog zwischen Investoren und Aufsichtsrat in der Unternehmenspraxis in naher Zukunft entwickeln wird. Festzuhalten bleibt jedoch in jedem Fall, dass ein aktiver und vertrauensvoller Dialog mit dem Aufsichtsrat für einen seine Aktionärsrechte aktiv und verantwortungsvoll ausübenden Investor von zentraler Bedeutung ist.