OLG Frankfurt zur Auslegung einer „harten“ Bilanz­garantie im Anteilskaufvertrag

In einem aktuellen Urteil hat das OLG Frankfurt eine sog. „harte“ Bilanzgarantie für den Fall bejaht, in dem bei einem Mehrheitserwerb von GmbH-Geschäftsanteilen zugesichert wird, dass der Jahresabschluss zum maßgeblichen Stichtag ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittelt. Darüber hinaus hat das OLG Frankfurt im selben Urteil entschieden, dass im Falle des Verstoßes gegen eine die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussende „harte“ Bilanzgarantie der Erwerber so zu stellen ist, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, einen günstigeren Kaufpreis zu vereinbaren. Ein Bilanzauffüllungsanspruch stand dem Erwerber nach Ansicht des Gerichts im konkreten Fall nicht zu (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.05.2015 – 26 U 35/12).

1. Sachverhalt

Die Klägerin erwarb von der Beklagten Geschäftsanteile an einer GmbH („Gesellschaft“). Der Anteilskaufvertrag enthält verschiedene Garantieerklärungen der Beklagten, unter anderem die Bestätigung, dass der Jahresabschluss der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns und unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften erstellt worden sei und ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittle. Weiter ist in dem Kaufvertrag die Haftung der Beklagten für den Fall geregelt, dass die Garantieerklärungen bzw. Gewährleistungszusagen unzutreffend sein sollten. Danach ist die Käuferin durch Schadensersatz in Geld so zu stellen, wie sie oder die Gesellschaft stehen würde, wenn die entsprechende Gewährleistung zutreffend gewesen wäre.

Nach Überprüfung des Jahresabschlusses kam die Klägerin zu dem Ergebnis, dass die Bilanz unvollständig sei und gegen handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungs­vorschriften verstoße. Sie bezifferte den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch mit mindestens EUR 138.979,96. Im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin die Schadensberechnung auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens modifiziert und die dort ausgewiesenen Differenzen bei den einzelnen Bilanzpositionen als Mindestschaden in Höhe von EUR 191.015,57 geltend gemacht.

Das erstinstanzliche Landgericht Limburg a. d. Lahn (Urt. v. 29.6.2012 – 1 O 28/10) hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

2. Entscheidung des OLG Frankfurts

Das OLG Frankfurt hat in der Berufungsentscheidung in Übereinstimmung mit dem Landgericht Limburg die Haftung des Beklagten dem Grunde nach bestätigt, folgte dem klägerischen Vortrag allerdings nicht in Bezug auf die Höhe des geltend gemachten Schadens.

Nach den Regelungen des Kaufvertrags hatte die Beklagte garantiert, dass der Jahresabschluss der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften erstellt worden sei und zu dem maßgeblichen Stichtag ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittle. Nach Auffassung des OLG Frankfurts ist diese Garantieerklärung nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB als „harte“ Bilanzgarantie auszulegen, durch die die Beklagte erklärt hat, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt das durch die bilanziellen Kennziffern abgebildete wirtschaftliche Gerüst in der Gesellschaft vorhanden ist. Die Erwartungen der Erwerberin an die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Zielgesellschaft beim Mehrheitserwerb von GmbH-Geschäftsanteilen ist, so das Gericht, typischerweise maßgeblich für den Kaufentschluss und die zu Grunde liegende Kaufpreiskalkulation. Dies bedeutet, dass bei der gewählten Formulierung damit gerechnet werden muss, dass die Zusage als objektive Aussage, d.h. unabhängig von der Sachverhaltskenntnis und hieran zustellende Sorgfaltsanforderungen des Verkäufers, interpretiert werden kann. Dies stellt wohl den wesentlichen Unterschied zu einer „weichen“ Bilanzgarantie dar, bei der der Verkäufer lediglich die Einhaltung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung versichert.

Bezüglich der objektiven Unrichtigkeit der Bilanz hat sich das OLG Frankfurt im Wesentlichen dem im Rahmen des Berufungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten angeschlossen und eine Verletzung der Bilanzgarantie und damit eine Haftung der Beklagten (aufgrund der Unrichtigkeit mehrerer Bilanzpositionen) dem Grunde nach angenommen. Die Klägerin (Käuferin) ist in diesem Fall so zu stellen, als wäre es ihr bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Unternehmenskaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen. Der Schaden besteht nach Ansicht des OLG Frankfurts in der Wertdifferenz zu dem hypothetisch erzielten niedrigeren Kaufpreis und nicht – wie vom Landgericht angenommen – in der Summe der Differenz von einzelnen unrichtigen Bilanzpositionen (sog. Bilanzauffüllungsschaden), zumal diese unter Umständen für die Vermögenslage der Gesellschaft neutral sein können oder aber sich diese Differenz möglicherweise nicht realisiert. Das OLG Frankfurt sah in der Schadensberechnung des Landgerichts Limburg zudem einen Widerspruch zum Inhalt der Bilanzgarantie, die eine allein an dem Ertragswert orientierte Berechnung nicht vorsieht und sich eine solche üblicherweise auf einen längeren, mehrjährigen Zeitraum beziehe.

Das OLG Frankfurt hat im Wege der Schadensschätzung auf den ermittelten Bilanzdifferenzbetrag einen Abschlag von 20 % vorgenommen und diesen Wert als erstattungsfähigen Schaden zugrunde gelegt. Die Revision gegen dieses Urteil wurde mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie mangels Erfordernis einer Revisionsgerichtsentscheidung zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht zugelassen. Das halten wir für nicht in allen Punkten zutreffend. Während das OLG Frankfurt mit seiner Vertragsauslegung der relevanten Klausel als „harte Bilanzgarantie“ auf dem Boden der ganz herrschenden Meinung steht, ist die Frage, ob auf der Rechtsfolgenseite ein Anspruch auf „Bilanzauffüllung“ besteht, nach wie vor sehr umstritten, so dass ein klärendes Wort des BGH wünschenswert gewesen wäre.

3. Fazit

Die Unterscheidung zwischen „harter“ und „weicher“ Bilanzgarantie sowie insbesondere die Schadensberechnung bei der Verletzung von Bilanzgarantien sind umstritten. Das Urteil des OLG Frankfurt verneint einen sog. Bilanzauffüllungsschaden und macht zugleich deutlich, wie schwierig die Schadensermittlung im Falle einer Verletzung einer Bilanzgarantie ist, wenn dem Konzept einer Bilanzauffüllung nicht gefolgt wird. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die Methodik der Schadensberechnung ausdrücklich im Unternehmenskaufvertrag zu regeln (siehe hierzu bereits unseren Newsletter Beitrag 02/2015 „M&A-Praxis: Bilanzgarantie“).

Bezüglich der Schadensberechnung im vorstehenden Urteil (20 % Abschlag vom Bilanzdifferenzbetrag) ist von einer dem konkreten Fall zugrundeliegenden Einzelentscheidung auszugehen, die nicht als Maßstab für jegliche Bilanzgarantieverletzungen dienen kann.