Neues aus dem Übernahmerecht – Anwendbarkeit des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG auf Wandelschuld­verschreibungen

I. Einleitung

Das OLG Frankfurt a. M. hat mit seinem Urteil vom 19.1.2016 eine wichtige und bislang ungeklärte Frage für die Angebotspraxis nach dem WpÜG entschieden. Nach Ansicht des Gerichts wird für die Berechnung des Mindestpreises im Rahmen eines öffentlichen Übernahmeangebots der Erwerb von Wandelschuldverschreibungen dem Erwerb von Aktien an der Zielgesellschaft gleichgestellt, wenn der Bieter die Wandelschuldverschreibungen innerhalb der Frist des § 4 S. 1 WpÜG-AngebotsVO erworben und gewandelt hat.

Die Kläger waren Aktionäre der Celesio AG, die im Anschluss an die Celesio-Übernahme durch den US-Konzern McKesson die Zahlung des Differenzbetrags zwischen der im öffentlichen Übernahmeangebot angebotenen und der nach ihrer Auffassung auf der Grundlage der Mindestpreisvorschriften zu zahlenden Gegenleistung verlangten. Die Kläger beriefen sich darauf, dass McKesson im Vorfeld der Übernahme Wandelanleihen innerhalb der Vorerwerbsfrist zu einem Preis erworben hatte, der erheblich über dem Angebotspreis lag und die Wandelanleihen auch tatsächlich innerhalb der Vorerwerbsfrist gewandelt hatte.

II. Rechtliche Würdigung

1. Rechtlicher Rahmen

Nach den Mindestpreisregeln des WpÜG in Verbindung mit der WpÜG-AngebotsVO muss der Bieter im Rahmen eines öffentlichen Übernahmeangebots den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anbieten. Die Mindesthöhe der Gegenleistung ist in § 31 Abs. 1 WpÜG iVm §§ 3-7 WpÜG-AngebotsVO geregelt. Bei der Bestimmung des Mindestpreises ist der Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft oder die im Rahmen eines Vorerwerbs gewährte oder vereinbarte Gegenleistung für Aktien der Zielgesellschaft maßgeblich. Der jeweils höhere Wert bildet die Mindesthöhe für die Gegenleistung. Durch die Mindestpreisgrenze soll verhindert werden, dass Aktionäre durch private Aktienveräußerungen im Zusammenhang mit einem öffentlichen Übernahmeangebot über Paketzuschläge einen besseren Preis für ihre Aktien erhalten als Aktionäre, die ihre Aktien in das Übernahmeangebot einliefern.

Maßgeblich für die Mindestpreisbestimmung sind gem. § 4 S. 1 WpÜG-AngebotsVO Preise für den „Erwerb von Aktien“ in den letzten sechs Monaten vor Veröffentlichung des Angebots. Mit Vorerwerb ist allein der Eigentumserwerb und nicht das zu Grunde liegende schuldrechtliche Geschäft gemeint. Der dingliche Eigentumserwerb muss während der sechsmonatigen Referenzzeit erfolgt sein.

Die Regelung in § 31 Abs. 6 WpÜG – die gem. § 4 S. 2 WpÜG-AngebotsVO zur Bemessung des Mindestpreises entsprechend zur Anwendung kommt – soll die Umgehung der Mindestpreisregelungen verhindern. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG erstreckt die Relevanz von Vorerwerben auf „Vereinbarungen, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann.“ Damit sind Sachverhalte erfasst, bei denen ein schuldrechtlicher Vertrag innerhalb einer Frist gem. § 31 Abs. 4-5 WpÜG, § 4 S. 1 WpÜG-AngebotsVO über die Lieferung von Aktien abgeschlossen wird, ohne dass auch die dingliche Übereignung in der jeweiligen Referenzperiode erfolgt. Es war bislang umstritten, ob ein schuldrechtlicher Vertrag, der dem abgeleiteten Erwerb von Wandelanleihen zu Grunde liegt, Vorerwerbsrelevanz iSd § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG hat.

2. „Vereinbarungen, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann“

Der Erwerb der Wandelschuldverschreibungen müsste also als Vereinbarung, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, qualifizieren. Der Wortlaut des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG ist dabei nicht weiterführend, was das OLG Frankfurt a. M. zutreffend ausführt. Einerseits ist ein Kaufvertrag über Wandelschuldverschreibungen nicht der rechtliche Grund für die (sachenrechtliche) Übertragung von Aktien. Denn auf Grund des Kaufvertrags über die Wandelschuldverschreibungen kann der Erwerber zunächst nur die Übertragung der Wandelschuldverschreibungen verlangen. Erst in einem zweiten Schritt kann der Erwerber die Wandlung erklären. Daran schließt sich der Abschluss eines Zeichnungsvertrags an, aus dem sich der Anspruch auf Übereignung von Aktien ergibt.

Umgekehrt gibt der Wortlaut des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG keinen Aufschluss darüber, wie weit der Begriff „auf Grund derer“ zu verstehen ist. Wenn mit „auf Grund derer“ nicht der rechtliche Grund für die sachenrechtliche Übereignung der Aktien gemeint ist, sondern eine weiter gefasste Kausalbeziehung, dann käme eine Vorerwerbsrelevanz des Erwerbs von Wandelanleihen in Betracht.

Entscheidende Bedeutung kommt daher dem Sinn und Zweck der Norm zu. Das OLG Frankfurt a. M. führt diesbezüglich aus, dass es Sinn und Zweck des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG sei, die durch die Mindestpreisregelungen geschützten Aktionäre der Zielgesellschaft davor zu schützen, dass der Bieter, anstatt Aktien dinglich zu erwerben, sich – für den Bieter wirtschaftlich gleichbedeutend – mit schuldrechtlichen Erwerbsrechten eindeckt (Umgehungsschutz). Auf der anderen Seite dürfe der Umgehungsschutz nicht so weit gehen, dass der Bieter die Vorerwerbspreisrelevanz nicht mehr rechtssicher bestimmen kann. Dies widerspräche nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. dem Zweck des WpÜG, den Beteiligten eine schnelle und möglichst rechtssichere Abwicklung öffentlicher Markttransaktionen zu ermöglichen. Das OLG Frankfurt a. M. gelangt vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass jedenfalls dann, wenn die durch den Bieter erworbenen Wandelanleihen innerhalb der maßgeblichen Frist gem. § 4 S. 1 WpÜG-AngebotsVO erworben und in Aktien gewandelt wurden, eine Gleichstellung mit einem Aktienerwerb gem. § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG geboten ist. Dann nämlich könne davon ausgegangen werden, dass die Wandelanleihen zum Zwecke des Beteiligungsaufbaus erworben wurden, womit die Mindestpreisregelungen ihrem Sinn und Zweck nach einschlägig seien und es sei im Umkehrschluss nicht anzunehmen, dass der Erwerb der Anleihen anderen Zwecken dienen soll, beispielsweise um Zinseinkünfte aus den Anleihen zu generieren. Für diese Sichtweise des Gerichts sprechen im vorliegenden Fall durchaus gute Gründe, war doch der Zusammenhang des Erwerbs der Wandelschuldverschreibungen mit dem Übernahmeangebot evident.

III. Ausblick

Das OLG Frankfurt a. M. hat unter Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage die Revision zugelassen. Es ist abzuwarten, ob der BGH die für die Angebotspraxis nach dem WpÜG maßgebliche Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. bestätigen wird. Bis dahin werden potenzielle Bieter jedenfalls die Vorgaben des Gerichts bei der Angebotsstrukturierung zu beachten haben und auch etwaige weitergehende Zeiträume betreffend die potenzielle Relevanz des Erwerbs und der Ausübung von Wandelschuldverschreibungen aus Gründen der Vorsicht einbeziehen, sofern der auf die jeweilige Aktie entfallende Erwerbspreis über dem Angebotspreis liegt.

Für weitergehende Informationen zu diesem Thema siehe den Aufsatz von Nikoleyczik/Hildebrand: Anwendbarkeit des § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG auf Wandelschuldverschreibungen – Magnetar/McKesson, veröffentlicht in NZG 2016, S. 505 ff.