BFH (erneut) zum Sanierungserlass: Keine Anwendung auf sog. Altfälle

Der Bundesfinanzhof (BHF) hat sich in zwei Urteilen (I R 52/12 und X R 38/15) erneut mit der Anwendung des sog. Sanierungserlasses beschäftigt. Im Nachgang zu dem Beschluss des Großen Senats des BFH (GrS 1/15), wonach der Sanierungserlass unrechtmäßig und daher nicht anzuwenden ist, hat der BFH nunmehr entschieden, dass der Sanierungserlass auch nicht auf Altfälle anwendbar ist. Ein Vertrauensschutz besteht insoweit nach Auffassung des BFH nicht.

I. Hintergrund

In Krisensituationen verzichten (Dritt-)Gläubiger oftmals zur Rettung des angeschlagenen Unternehmens auf Forderungen. Dieser Verzicht führt in der Regel zu einem außerordentlichen Ertrag (sog. Sanierungsgewinn). Diese Sanierungsgewinne unterliegen grundsätzlich – vorbehaltlich einer Verrechnung mit Verlusten und Verlustvorträgen – der Besteuerung.

Bis 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. unter bestimmten Voraussetzungen steuerbefreit. Seit dem Jahr 2003 konnten unter bestimmten Voraussetzungen die Steuern auf Sanierungsgewinne auf Grundlage des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27.3.2003 (sog. Sanierungserlass) aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen werden. Die Regelung des Sanierungserlasses entsprach in etwa der früheren Rechtslage bis 1997.

Mit Beschluss vom 28.11.2016 (veröffentlicht am 7.2.217) hat der Große Senat des BFH den Sanierungserlass wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen. Denn der Gesetzgeber, so der Große Senat, habe 1997 mit der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. entschieden, dass Sanierungsgewinne der Besteuerung unterliegen. Der Finanzverwaltung sei es daher verwehrt, trotz dieser gesetzgeberischen Entscheidung, die Sanierungsgewinne im Wege eines Erlasses generell von der Besteuerung zu befreien. Eine Steuerbefreiung könne nur als individuelle Billigkeitsmaßnahme, die auf besonderen Gründen des Einzelfalls (persönliche Billigkeitsgründe) beruht, erfolgen.

Mit Schreiben vom 27.4.2017 wies das BMF die Finanzämter aus „Gründen des Vertrauensschutzes“ an, den o.g. Sanierungserlass trotz der Entscheidung des Großen Senats auf alle Altfälle anzuwenden. Als Altfälle werden demnach Sachverhalte erachtet, bei denen die (Dritt-)Gläubiger bis (einschließlich) zum 8.2.2017 (Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats) endgültig auf ihre Forderungen verzichtet haben.

Zeitgleich erarbeitete der Gesetzgeber eine (neue) gesetzliche Regelung für die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen (§ 3a EStG n.F.). Die Neuregelung ist auf alle Fälle anwendbar, bei denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden. Auf sog. Altfälle findet die Vorschrift keine Anwendung.

II. Sachverhalte der BFH-Entscheidungen

Den beiden BFH-Urteilen lagen Forderungsverzichte aus dem Jahr 2006 (X R38/15) bzw. aus dem Jahr 2004 (I R 52/14) zu Grunde. In beiden Verfahren bestand zwischen den Steuerpflichtigen und den beteiligten Finanzämtern Streit darüber, ob die Voraussetzungen für einen Erlass der Steuer nach dem Sanierungserlass vorlagen.

Der BFH entschied nun, dass die vom BMF mit Schreiben vom 27.4.2017 intendierte Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle ebenfalls einen Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung darstellt. Nach Ansicht des BFH ist der Erlass einer entsprechenden Regelung allein dem Gesetzgeber vorbehalten.

Auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes gebieten nach Auffassung des BFH in vorliegendem Fall keine Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle. Die Voraussetzungen der Grundsätze des Vertrauensschutzes sind nicht erfüllt, da die Legalität des Sanierungserlasses in der steuerlichen Literatur und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung seit Längerem infrage gestellt wurde.

Letztlich hätte der Gesetzgeber bei Abfassung der Neuregelung (§ 3a EStG n.F.) den Anwendungsbereich auf alle noch offenen Altfälle ausweiten müssen. Eine entsprechende Regelung wurde im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, wurde aber schließlich nicht in die finale Gesetzesfassung übernommen.

III. Ausblick

Unbenommen ist dem Gesetzgeber im Wege der Gesetzesänderung eine Geltung der gesetzlichen Neuregelung für sämtliche offenen Altfälle anzuordnen. Es wäre wünschenswert, wenn eine entsprechende gesetzgeberische Ergänzung alsbald erfolgen würde. Angesichts der noch offenen Regierungsbildung müssen sich die betroffenen Steuerpflichtigen allerdings wohl gedulden.