Aktienoptionen und Insiderrecht
I. Einleitung
Ein wesentlicher Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern sowie sonstiger Führungskräfte börsennotierter Gesellschaften besteht typischerweise in der ihnen gewährten langfristigen variablen Vergütung. Die Ausgestaltung der langfristigen variablen Vergütung ist in der Praxis vielfältig. Häufig erfolgt sie durch klassische „echte“ Aktienoptionen, die durch ein bedingtes Kapital der Gesellschaft unterlegt sind. Die Programmbedingungen sehen für die Zuteilung von Aktienoptionen regelmäßig bestimmte Zuteilungsfenster vor. Problematisch ist nun der häufiger auftretende Fall, dass bei der Gesellschaft zum Zeitpunkt der geplanten Zuteilung von Aktienoptionen eine (potentielle) Insiderinformation vorliegt und die Gesellschaft von der Möglichkeit zur Selbstbefreiung betreffend die Veröffentlichung von Insiderinformationen Gebrauch gemacht.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob (i) die Ausgabe von Aktienoptionen durch die Gesellschaft und/oder die (ii) die Annahme von Aktienoptionen durch den jeweiligen Berechtigten zu einem Zeitpunkt, in dem seitens der Gesellschaft möglicherweise eine Insiderinformation vorliegt und die Gesellschaft von der Möglichkeit zur Selbstbefreiung Gebrauch gemacht hat, gegen das Verbot von Insidergeschäften verstößt.
II. Verbotene Insidergeschäfte
Ein verbotenes Insidergeschäft liegt vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben für eigene Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente erwirbt oder veräußert.
1. Erwerb oder Veräußerung eines Finanzinstruments
Aktienoptionen sind regelmäßig Finanzinstrumente, jedenfalls dann, wenn der Wert der Aktienoptionen vom Aktienkurs der Gesellschaft abhängt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn – wie regelmäßig – gemäß den Bedingungen des Aktienoptionsprogramms der Ausübungspreis, der bei Ausübung einer Aktienoption pro Aktie zu entrichten ist, an den Kurs der Aktie der Gesellschaft zu einem bestimmten Tag oder Zeitraum gekoppelt ist.
2. Nutzung einer Insiderinformation
Schwieriger zu beurteilen ist demgegenüber die Frage, ob bei der Ausgabe der Aktienoptionen bzw. bei deren Annahme eine Insiderinformation genutzt wird, unterstellt, eine solche läge bei der Gesellschaft in dem betreffenden Zeitpunkt vor.
a. Emittentenleitfaden der BaFin
Der Emittentenleitfaden der BaFin (Stand: 15. Juli 2005) führt zu der Frage, ob ein Mitarbeiter oder ein Mitglied des Vorstands bei der Teilnahme an einem Aktienoptionsprogramm eine Insiderinformation nutzt, wie folgt aus:
„Verfügt ein Mitarbeiter im Zeitpunkt der Abgabe der Teilnahmeerklärung über eine Insiderinformation und ist diese zumindest Teil seiner Motivation, an dem Programm teilzunehmen, verwendet er die Insiderinformation i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Der überwiegende Teil der Belegschaft eines Unternehmens kommt jedoch in der Regel ohnehin nicht mit Insiderinformationen in Berührung. Daher erscheint es entbehrlich, die Mitarbeiter bei Zeichnung ihres Mitarbeiterbeteiligungsprogramms gesondert, etwa mit einem Merkblatt, auf das Verbot von Insidergeschäften hinzuweisen. Anders ist der Fall für Mitglieder der Organe und der Entscheidungsträger im Unternehmen zu werten, die aufgrund ihrer Tätigkeit regelmäßig mit Insiderinformationen in Berührung kommen. Hier kann ein Hinweis auf § 14 WpHG anlässlich des Zeichnungsangebots sinnvoll sein.“
Hiernach schließt die BaFin nicht aus, dass das Insiderhandelsverbot auf Personen Anwendung findet, die zum Zeitpunkt der Teilnahme an einem Aktienoptionsprogramm Insiderinformationen besitzen. Allerdings scheint die BaFin nicht davon auszugehen, dass in solchen Fällen stets ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot vorliegen soll, da sie lediglich einen Hinweis auf das Insiderhandelsverbot als „sinnvoll“ erachtet. Vielmehr stellt die BaFin darauf ab, ob die Insiderinformation zumindest Teil der Motivation ist, an dem Programm teilzunehmen. Dies legt nahe, dass die BaFin davon ausgeht, dass eine Einzelfallprüfung erforderlich ist und dabei genau zu prüfen ist, ob die Information den Vorstand motiviert oder kausal für dessen Teilnahmeentschluss ist.
b. Diskussion und Meinungsstand in der Literatur
Die Frage, ob die Ausgabe und Annahme von Aktienoptionen eine verbotene Nutzung von Insiderinformationen darstellen kann, wird in der Literatur nur vereinzelt und nicht im Detail diskutiert. Einer teilweise vertretenen Meinung zufolge kann die Zuteilung von Aktienoptionen eine Nutzung von Insiderinformationen darstellen, wenn der Optionsempfänger Einfluss auf den zur Wert- oder Preisbemessung maßgeblichen Zeitpunkt nehmen kann und die Insiderinformation zumindest mitursächlich für die Annahme der Aktienoptionen ist. Hinsichtlich des (unzulässigen) Insidervorteils, der sich in diesem Fall verschafft wird, wird auf die (höhere) Differenz zwischen (i) dem Ausgabepreis der Option (sofern dieser vom Aktienkurs der Gesellschaft abhängt) und (ii) dem späteren Börsenkurs der Aktien im Zeitpunkt der Optionsausübung abgestellt.
Demgegenüber ist einer anderen Meinung zufolge die Zuteilung von Aktienoptionen an Führungskräfte insiderrechtlich weitgehend unbedenklich. Die Nutzung einer Insiderinformation im Rahmen der Zuteilung von Aktienoptionen wird dabei unter anderem mit dem Argument verneint, das Optionsrecht werde als Teil des ausgehandelten Vergütungsanspruchs gewährt, und beide Parteien verfügten jeweils über dieselbe Informationsgrundlage.
c. Bewertung
Nach einer entsprechenden Vermutung der Marktmissbrauchsrichtlinie (MAR) ist grundsätzlich von der Nutzung einer Insiderinformation auszugehen, wenn eine Person, die im Besitz einer Insiderinformation ist, ein Erwerbsgeschäft tätigt. Allerdings sind in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Fallgruppen anerkannt, in denen die Vermutung der Nutzung einer Insiderinformation widerlegt ist. Diesen liegt jeweils die Überlegung zugrunde, dass ein Erwerb von Finanzinstrumenten trotz Kenntnis einer Insiderinformation nicht in jedem Fall gegen den Zweck der MAR, einen gleichberechtigten Informationszugang zu schützen, verstößt, oder dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Insiderinformation und dem fraglichen Geschäft besteht.
Vorliegend kommen insbesondere die folgenden Fallgruppen in Betracht, bei deren Vorliegen ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot ausgeschlossen ist:
(i) Fehlende Kausalität zwischen Insiderinformation und Geschäft
Das Tatbestandsmerkmal der „Nutzung“ einer Insiderinformation verlangt einen Kausalzusammenhang zwischen der Insiderinformation und dem fraglichen Geschäft. Die „Nutzung“ einer Insiderinformation durch einen Insider liegt daher nur dann vor, wenn die Insiderinformation für das Geschäft ursächlich (kausal) oder zumindest mitursächlich war.
Hieran fehlt es, wenn eine Person bei Abschluss des Geschäfts zwar über eine Insiderinformation verfügt, sie das Geschäft aber auch dann getätigt hätte, wenn sie die Insiderinformation nicht gehabt hätte. Dies gilt vorliegend für die Ausgabe und Annahme der Aktienoptionen, da es sich hierbei nicht um die Realisierung eines unzulässigen Insidervorteils, sondern um die bloße Gewährung und Annahme von Vergütungselementen handelt.
(ii) „Face-to-face“-Geschäfte
Nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Spector Photo Group und der in der Literatur entsprechend anerkannten Ausnahme für „Face-to-face“-Geschäfte liegt zudem kein Insiderverstoß vor, wenn die an einer außerbörslichen Transaktion beteiligten Parteien eine Insiderinformation gleichermaßen kennen. Die Kapitalmärkte sind in derartigen Konstellationen nicht schutzwürdig, da keiner der Insider aufgrund der Kenntnis der Insiderinformation einen Sondervorteil erlangen kann. Da das Insiderwissen nicht zu einem einseitigen Vorteil bei der Verhandlung der Konditionen des Geschäfts führt, ist eine Schädigung des Kapitalmarkts und der Kapitalmarktteilnehmer in diesen Fällen ausgeschlossen.
Sofern dies bei sämtlichen an dem Vorgang der Zuteilung und Annahme von Optionsrechten Beteiligten der Fall ist, kann keine Partei gegenüber der jeweils anderen einen unzulässigen Insidervorteil aus der Ausgabe und Annahme der Aktienoptionen erzielen. Die Ausgabe und Annahme der Aktienoptionen stellt dann einen rein gesellschaftsinternen Vorgang ohne Auswirkungen auf den Kapitalmarkt dar, bei dem keine Informationsvorsprünge ausgenutzt werden.
(iii) Schutzzweck des Insiderhandelsverbots
Schließlich spricht auch der Schutzzweck des Insiderhandelsverbots gegen das Vorliegen eines Verstoßes. Zweck des Insiderhandelsverbots ist der Schutz des Ansehens und des Funktionierens der Kapitalmärkte sowie des Vertrauens der Anleger in deren „gute Ordnung“. Ein dahingehender Kapitalmarktbezug liegt jedoch bei der Ausgabe von Aktienoptionen, die – wie üblicherweise – nicht handelbar oder übertragbar sind, nicht vor. Es handelt sich um eine rein unternehmensinterne Angelegenheit ohne Bezug zum Kapitalmarkt.
III. Ergebnis
Die Frage, ob die Ausgabe und Annahme von Aktienoptionen bei Vorliegen einer Insiderinformation zulässig ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Die BaFin stellt insoweit darauf ab, ob ein Mitglied des Vorstands von der Insiderinformation zur Teilnahme an einem Aktienoptionsprogramm motiviert wird. Dies wird jedoch regelmäßig nicht der Fall sein. Vielmehr handelt es sich bei Aktienoptionen um ein reines Vergütungselement, dessen wirtschaftlichen Wert der Optionsempfänger in jedem Fall – völlig losgelöst vom Vorliegen einer Insiderinformation – wird realisieren wollen. Die mögliche Insiderinformation dürfte daher regelmäßig nicht zum Abschluss des jeweiligen Geschäfts motivieren und ist daher nicht kausal.