Der Referentenentwurf eines Zukunftsfinanzierungsgesetzes – wesentliche Änderungen im Aktienrecht
Das Bundesministerium der Finanzen hat am 12. April 2023 zusammen mit dem Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) vorgelegt. Der Entwurf verfolgt im Wesentlichen die Ziele, die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts zu stärken und die Attraktivität des deutschen Finanzstandorts als bedeutenden Teil eines starken Finanzplatzes Europa zu erhöhen.
Insbesondere ist es das Ziel des ZuFinG, sowohl den deutschen Finanzmarkt als auch den Standort Deutschland für nationale und internationale Unternehmen und Investoren attraktiver zu gestalten. Zu diesem Zweck sieht der Entwurf umfangreiche Maßnahmen und Regelungen aus dem Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Steuerrecht vor, um hierdurch für Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) den Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital zu erleichtern. Der nachfolgende Newsletter-Beitrag stellt die wesentlichen Eckpunkte des Entwurfs aus aktienrechtlicher Sicht vor.
1. Erleichterungen bei Kapitalerhöhungen im Wege eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses
a) Erhöhung der Volumengrenze auf bis zu 20 % des Grundkapitals
Der Entwurf sieht vor, einen Bezugsrechtsausschluss bei Barkapitalerhöhungen nahe am Börsenkurs („vereinfachter Bezugsrechtsausschluss“) nicht mehr nur in Höhe von bis zu 10 % des Grundkapitals, sondern in Zukunft bis zu 20 % des Grundkapitals zu ermöglichen. Dies soll der Erleichterung und Beschleunigung von Kapitalerhöhungen dienen. Namentlich würde die Änderung eine erhebliche Flexibilisierung bei der Kapitalbeschaffung bedeuten, da der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss es in Zukunft ermöglichen würde, kurzfristig neue Aktien in erheblich größerem Umfang bei Investoren nahe am Börsenkurs zu platzieren als bisher.
Zudem steht die vorgesehene Erhöhung im Einklang mit den Vorgaben der EU-Prospektverordnung, die innerhalb von zwölf Monaten eine prospektfreie Zulassung zum regulierten Markt von bis zu 20 % neuer Aktien erlaubt, sofern diese nicht öffentlich angeboten werden. Wird das Bezugsrecht ausgeschlossen, handelt es sich bei der Ausgabe neuer Aktien gerade nicht um ein öffentliches Angebot, sodass dementsprechend kein Prospekt erforderlich ist. Gesellschaften können somit zukünftig in substanziellem Umfang kurzfristig Kapitalerhöhungen in Höhe von bis zu 20 % des Grundkapitals beschließen, insbesondere im Rahmen eines genehmigten Kapitals, und die neuen Aktien prospektfrei zulassen.
b) Ausschluss der Bewertungsrüge
Neben der Erhöhung der Volumengrenze für den erleichterten Bezugsrechtsausschluss sollen Kapitalerhöhungen unter Bezugsrechtsausschluss generell auch rechtssicherer und damit einfacher werden. Der Entwurf sieht vor, dass Streitigkeiten über die Angemessenheit des Werts der auf die neuen Aktien entfallenden Einlage bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss in Zukunft nicht mehr im Wege der Anfechtungsklage geltend zu machen sind (sogenannte „Bewertungsrüge“), sodass die Streitigkeit die Eintragung der Kapitalerhöhung (in Zukunft nicht mehr) verhindern kann; zukünftig sollen derartige Streitigkeiten ausschließlich im Rahmen des Spruchverfahrens ausgetragen werden, und dies auch lediglich im Hinblick auf eine bare Ausgleichszahlung, die an die Aktionäre zu leisten ist: Die Gesellschaft schuldet den Ausgleich für einen zu geringen Preis für die neuen Aktien, kann aber zugleich von dem Aktionär, der die neuen Aktien übernommen hat, eine Erstattung oder Freistellung verlangen. Allerdings soll bei börsennotierten Gesellschaften in der Regel kein Ausgleich geschuldet sein, wenn der Börsenkurs nicht wesentlich unterschritten wurde; in diesem Zusammenhang regelt der Entwurf, dass der Wert der neuen Aktien grundsätzlich anhand des Dreimonats-Durchschnittskurses als Referenz zu ermitteln ist.
2. Erhöhung der Volumengrenze für bedingte Kapitalia
a) Unternehmenszusammenschlüsse
Die Schaffung eines bedingten Kapitals ist bislang auf eine Höhe von maximal 50 % des Grundkapitals begrenzt. Allerdings sieht der Entwurf vor, dass ein bedingtes Kapital für die Vorbereitung des Zusammenschlusses von Unternehmen in Zukunft für bis zu 60 % des Grundkapitals möglich sein soll. Gleichwohl ist die praktische Relevanz der Änderung fraglich: Bedingte Kapitalia werden in der Transaktionspraxis regelmäßig nicht für Unternehmenszusammenschlüsse herangezogen. Der Grund liegt darin, dass ein von der Hauptversammlung zu beschließendes bedingtes Kapital den Bezugsberechtigten (hier: den Verkäufer des Unternehmens) bereits benennen muss, was das bedingte Kapital für zukünftige, bislang noch nicht konkrete Unternehmenstransaktionen typischerweise ausschließt.
b) Mitarbeiteraktien
Der Entwurf sieht auch vor, dass die Möglichkeit der Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung von bisher maximal 10 % des Grundkapitals auf 20 % angehoben werden soll. Insbesondere „Growth Companies“ haben in der Vergangenheit bei der Vergütung ihrer Mitarbeiter und des Managements in großem Umfang auf Aktienoptionen und Bezugsrechte gesetzt. Die entsprechende Anhebung der Möglichkeit zum Bezugsrechtsausschluss würde es vor allem jungen Unternehmen weiterhin ermöglichen, in maßgeblichem Umfang aktienbasierte Vergütungen für Mitarbeiter und Manager zu gewähren.
3. Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien
Das durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im Jahr 1998 eingeführte Verbot von Mehrstimmrechten soll wieder gestrichen werden. Stattdessen sieht der Entwurf vor, dass die Satzung Namensaktien mit Mehrstimmrechten vorsehen und damit einem Gesellschafter mehr Stimmrechte zuweisen kann, als es seiner Kapitalbeteiligung entspricht. Das Gesetz soll es etwa Gründern und Investoren ermöglichen, Eigenkapital aufzunehmen und ihr Unternehmen an die Börse zu bringen, ohne dabei die Kontrolle oder wesentlichen Einfluss zu verlieren. Die Regelung fügt sich ein in die Vorgaben des EU Listing Act, wonach die Mitgliedstaaten für Unternehmen, die eine Zulassung zum Handel auf einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben, Mehrstimmrechte vorsehen sollen.
Allerdings sollen Mehrstimmrechtsaktien nicht unbegrenzt zulässig sein: Der Entwurf sieht eine volumenmäßige Grenze des Zehnfachen des „normalen“ Stimmrechts vor. Um den Umständen Rechnung zu tragen, können auch verschiedenartig ausgestaltete Mehrstimmrechtsaktien, also solche mit jeweils unterschiedlicher Stimmkraft, vorgesehen werden. Bei börsennotierten Gesellschaften erlöschen die Mehrstimmrechte mit Übertragung der Aktie, spätestens zehn Jahre nach der Börsennotierung. Diese Frist kann frühestens ein Jahr vor ihrem Ablauf (einmalig) um weitere bis zu zehn Jahre verlängert werden, wobei der Beschluss einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedarf. Nicht zuletzt bedarf die Einführung von Mehrstimmrechten der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre – damit ist die erstmalige Begründung von Mehrstimmrechten nach einem Börsengang faktisch ausgeschlossen.
4. Spezialvorschriften für Börsenmantelaktiengesellschaften („SPACs“)
Das Börsengesetz soll Sonderregelungen für „Börsenmantelaktiengesellschaften“ (BMAG, bereits bekannt als Special Purpose Acquisition Company – SPAC) erhalten, die Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern sollen. Die Regelungen sollen im Wesentlichen auf den Vorgaben des Aktienrechts aufsetzen und diese in einzelnen Aspekten modifizieren. Die geltenden deutschen gesellschaftsrechtlichen Strukturen lassen das Aufsetzen eines SPAC nach US-Vorbild bislang nicht zu. Die wenigen bisher in Deutschland gelisteten SPACs sind daher meist luxemburgische SEs. Die Einführung der BMAG durch das ZuFinG soll insbesondere den Prozess eines IPO einer deutschen Gesellschaft (AG oder SE) verkürzen sowie gleichzeitig angemessenen Aktionärs- und Anlegerschutz gewährleisten.
Gegenstand einer BMAG ist die Verwaltung eigenen Vermögens, die Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs und die Suche nach einem geeigneten Zielunternehmen, das mittels Erwerbs durch die BMAG (als Share Deal, als Asset Deal oder durch Verschmelzung) seinerseits (gegebenenfalls mittelbar) an die Börse gebracht wird. Der Erwerb muss in einer in der Satzung festgelegten Frist erfolgen. Bis die Zieltransaktion durchgeführt wird, müssen die Einlagen durch einen geeigneten Treuhänder (Notar oder Kreditinstitut) gehalten werden. Über die Zieltransaktion entscheidet die Hauptversammlung der BMAG mit einer Mehrheit von drei Vierteln.
5. Einführung der elektronischen Aktie (e-Aktie)
Das bisher geltende Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) ermöglicht bisher nur, Inhaberschuldverschreibungen und Investmentfondsanteile in elektronischen Wertpapieren zu verbriefen. Der Entwurf sieht nun als entscheidenden Schritt zur Digitalisierung des Kapitalmarkts auch die Ausgabe von Namens- und Inhaberaktien in Form elektronischer Aktien vor. Inhaltlich unterscheiden sich elektronische Aktien von herkömmlichen Aktien nur dadurch, dass sie nicht verbrieft sind, sondern stattdessen in ein elektronisches Wertpapierregister eingetragen werden. Namensaktien können darüber hinaus auch als Kryptowertpapiere begeben werden, etwa unter Einsatz der Blockchain-Technologie.
6. Gesetzgebungsverfahren und Zeitplan
Der Entwurf findet grundsätzlich positive Resonanz und bietet die Chance, den deutschen Finanzmarkt zu stärken, für internationale Teilnehmer attraktiver zu machen und dadurch insgesamt wettbewerbsfähiger zu werden. Dem bisherigen Referentenentwurf wird zeitnah ein Regierungsentwurf des Bundeskabinetts auf Grundlage der eingegangenen Stellungnahmen und Anhörung folgen; hierdurch wird das Gesetzgebungsverfahren eröffnet. Ziel ist, das Gesetz im laufenden Jahr 2023 zu verabschieden. Der Großteil der Regelungen soll dann umgehend in Kraft treten.
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Dr. Bernd Graßl
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