Steuerliche Behandlung von disquotalen und zeitlich inkongruenten Gewinnausschüttungen

In der Praxis kann es vorkommen, dass die Gewinnbeteiligung eines GmbH-Gesellschafters einer GmbH disquotal, d.h. abweichend von der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung, ausgestaltet werden soll. Die Finanzverwaltung steht solchen Gestaltungen kritisch gegenüber und stellt an die steuerliche Anerkennung solcher disquotalen Gewinnausschüttungen hohe Anforderungen. Anders hingegen der BFH: In einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 28.9.2022, VIII R 20/20) hat er sich (mal wieder) mit den zivilrechtlichen und steuerlichen Voraussetzungen für disquotale Gewinnausschüttungen auseinandergesetzt und der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung eine Absage erteilt. Zudem hat der BFH in einem weiteren Urteil (Urteil vom 28.9.2021, VIII R 25/19) entschieden, dass auch zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich anzuerkennen sind. Die BFH-Entscheidungen werden zum Anlass genommen, die Voraussetzungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu beleuchten.

 

 

1. Hintergrund

a)    Disquotale Gewinnausschüttungen

Die Gründe für disquotale Gewinnausschüttungen können vielfältig sein. Oftmals sollen im Rahmen disquotaler Gewinnausschüttungen Sonderleistungen einzelner Gesellschafter abgegolten werden (bspw. die unentgeltliche Überlassung von Wirtschaftsgütern an die Kapitalgesellschaft oder die unentgeltliche Geschäftsführertätigkeit eines einzelnen Gesellschafters). Die finanzgerichtliche Rechtsprechung erkennt zivilrechtlich wirksame disquotale Gewinnausschüttungen seit langem an.

Offen war bislang, ob eine disquotale Ausschüttung auch dann steuerlich anzuerkennen ist, wenn diese Ausschüttung lediglich auf Grundlage eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses erfolgt.

b)   Zeitlich inkongruente bzw. gespaltene Gewinnausschüttung

Von der disquotalen Gewinnausschüttung zu unterscheiden ist die zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung (sog. gespaltene Gewinnausschüttung).

Dabei werden die Gewinne der Gesellschaft zwar entsprechend der Beteiligungshöhe verteilt, allerdings wird von der Gesellschafterversammlung beschlossen, die Gewinnanteile einzelner Gesellschafter nicht an diese auszuschütten, sondern in eine personenbezogene Gewinnrücklage einzustellen (partielle Thesaurierung). Die Ausschüttung des in die personenbezogene Gewinnrücklage eingestellten Betrags erfolgt typischerweise zu einem späteren Zeitpunkt auf Grundlage eines weiteren Ausschüttungsbeschlusses. Soweit der Gewinnanteil eines Gesellschafters als personenbezogene Gewinnrücklage in der Gesellschaft verbleibt, besteht jedoch das Risiko, dass eine spätere Ausschüttung an den Gesellschafter aufgrund eingetretener Verluste der Gesellschaft nicht mehr in vollem Umfang möglich ist.

Eine solche gespaltene Gewinnausschüttung kommt in der Praxis insbesondere dann in Betracht, wenn einzelnen Gesellschaftern an einer sofortigen Gewinnausschüttung gelegen ist, während andere Gesellschafter (momentan) eine Thesaurierung (etwa zum Zwecke der Finanzierung der Gesellschaft) bevorzugen und eine spätere Ausschüttung wünschen. Der Wunsch nach einer gespaltenen Gewinnausschüttung kann neben unterschiedlichen Liquiditätserfordernissen der Gesellschafter noch andere Gründe haben. So ist bspw. denkbar, dass ein einzelner Gesellschafter zum Zeitpunkt des Ausschüttungsbeschlusses noch nicht die Anforderungen für eine steuerbegünstigte Vereinnahmung der Dividende (bspw. die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen oder abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs) erfüllt und diesem Gesellschafter daher an einem späteren Zufluss gelegen ist.

 

2. Zivilrechtliche Grundlagen für disquotale bzw. zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen

a)    Ergebnisverwendung

Jeder Gesellschafter einer GmbH hat das Recht auf die Teilhabe am Ergebnis der Gesellschaft (Gewinnbezugs- oder Gewinnstammrecht) (§ 29 Abs. 1 GmbHG). Die Ergebnisverwendung wird auf Grundlage des festgestellten Jahresabschlusses der Gesellschaft getroffen. Zunächst ist darüber zu entscheiden, wie das Ergebnis der Gesellschaft verwendet werden soll. Dabei kommen drei Möglichkeiten in Betracht:

  • Einstellung in die Gewinnrücklage,
  • Vortragen des Gewinns, sowie
  • Ausschüttung (soweit nicht eine Einstellung in die Gewinnrücklage erfolgte oder der Gewinn vorgetragen wurde)

b)   (Abweichende) Gewinnverteilung

Nach der Ergebnisverwendung muss in einem zweiten Schritt über die Ergebnisverteilung entschieden werden. Grundsätzlich sind die Gewinne der GmbH nach Maßgabe der Geschäftsanteile zu verteilen. Maßgeblich sind dabei die Beteiligungsverhältnisse im Zeitpunkt der Fassung des Ausschüttungsbeschlusses (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG).

Abweichend vom Grundsatz der anteiligen Gewinnverteilung kann die Satzung eine abweichende Gewinnverteilung vorsehen (§ 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Sofern eine solche Satzungsregelung nicht bereits im Gründungsvertrag der GmbH enthalten ist, kann die Satzung mit ¾-Mehrheit (oder der satzungsbestimmten höheren Mehrheit) geändert werden. Zudem müssen die betroffenen Gesellschafter der Satzungsänderung zwingend zustimmen.

Als Alternative zu einer konkreten (und damit ggf. zu starren) Satzungsregelung über die abweichende Gewinnverteilung kann die Satzung auch eine sog. Öffnungsklausel vorsehen. Diese Öffnungsklausel ermöglicht es den Gesellschaftern durch Gesellschafterbeschluss eine abweichende Gewinnverteilung für die jeweilige Ausschüttung zu beschließen. Ob ein solcher Gewinnverteilungsbeschluss auch die Zustimmung des benachteiligten Gesellschafters bedarf, ist nicht abschließend geklärt. In der Praxis sieht die Öffnungsklausel ohnehin meist Einstimmigkeit für einen Beschluss über die abweichende Gewinnverteilung vor, so dass dem Schutz des Minderheitengesellschafters genüge getan ist.

Für den Fall, dass die Satzung selbst keine Regelung über eine disquotale Gewinnverteilung enthält bzw. keine Öffnungsklausel vorsieht, kann im Einzelfall ein satzungsdurchbrechender Beschluss gefasst werden. Gesellschafterbeschlüsse, deren Regelungsgehalt sich darauf bezieht, dauerhaft einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand zu begründen sind nichtig, es sei denn, die Anforderungen der §§ 53, 54 GmbHG (Beurkundungserfordernis und Handelsregistereintragung) werden eingehalten. Dagegen ist ein lediglich punktueller, auf den Einzelfall bezogener satzungsdurchbrechender Beschluss, wie bspw. der Beschluss über eine abweichende Gewinnverteilung, nicht nichtig. Ein solcher Beschluss ist – auch ohne Einhaltung der für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften – zivilrechtlich wirksam und lediglich durch die Gesellschafter, die nicht zugestimmt haben, anfechtbar.

 

3. Steuerliche Anforderungen an disquotale Gewinnausschüttungen bzw. zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen

a)    Satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse sind steuerlich anzuerkennen

Die Finanzverwaltung macht die steuerliche Anerkennung von disquotalen Gewinnausschüttungen davon abhängig, dass eine entsprechende Regelung in der Satzung vorgesehen ist oder die Satzung eine Öffnungsklausel enthält (vgl. BMF-Schreiben vom 17.12.2013).

Ungeklärt war hingegen die Frage, ob disquotale Gewinnausschüttungen auf Grundlage von bloßen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen steuerlich anzuerkennen sind.

Mit einer aktuellen Entscheidung hat der BFH (BFH, VIII R 20/20) nun für Klarheit gesorgt. Nach Ansicht des BFH sind punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse über inkongruente Gewinnausschüttungen, die einstimmig gefasst werden, als zivilrechtlich wirksame Ausschüttungsbeschlüsse auch steuerlich anzuerkennen (entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung). Dies soll nach Auffassung des BFH auch dann gelten, wenn entsprechende satzungsdurchbrechende Beschlüsse in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren gefasst werden. Denn den satzungsdurchbrechenden Ausschüttungsbeschlüssen liegt jeweils ein neuer Willensentschluss zugrunde und jeder Beschluss wirkt für sich nur punktuell, da sich die Wirkung des einzelnen Beschlusses mit Abfluss der Ausschüttung erschöpft.  

Auch wenn in dem vom BFH entschiedenen Fall disquotale Vorabausschüttungen vorgenommen wurden, sind die Rechtsprechungsgrundsätze auch auf Gewinnausschüttungen übertragbar.

b)   Zeitlich inkongruente bzw. gespaltene Ausschüttung

Auch zur steuerlichen Anerkennung von zeitlich inkongruenten bzw. gespaltenen Gewinnausschüttungen hat der BFH nun erstmalig Stellung bezogen (BFH, VIII R 25/19) und die steuerliche Anerkennung bejaht. Solche Beschlüsse sind nach Ansicht des BFH auch dann anzuerkennen, wenn die personenbezogene Gewinnrücklage zugunsten des beherrschenden Gesellschafters gebildet wurde. Soweit der an einen Gesellschafter nicht ausgeschüttete Gewinn in eine personenbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, kommt es nicht zu einem Zufluss von Gewinnanteilen beim Gesellschafter nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Die gespaltene Gewinnausschüttung unterscheidet sich in der steuerlichen Behandlung somit von dem Fall, dass eine Gewinnausschüttung an alle Gesellschafter beschlossen wird und einzelne Gesellschafter den Gewinnauszahlungsanspruch stehen lassen bzw. in ein Darlehensverhältnis umwandeln. Denn in diesen Fällen liegt regelmäßig ein steuerlicher Zufluss des Gewinnanteils beim Gesellschafter mit entsprechenden steuerlichen Folgen auf Ebene des Gesellschafters vor. Zudem hat die Gesellschaft die Kapitalertragsteuer auf die Ausschüttung einzubehalten und abzuführen.

In dem vom BFH entschiedenen Fall wurde der gespaltene Beschluss auf Grundlage einer Öffnungsklausel gefasst. Die o.g. Grundsätze zur steuerlichen Anerkennung von zivilrechtlich wirksamen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen sollten jedoch gleichermaßen für Beschlüsse über zeitlich inkongruente Ausschüttungen gelten.

c)    Kein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO

Bei disquotalen bzw. zeitlich inkongruenten Gewinnausschüttungen vermutet die Finanzverwaltung oftmals eine missbräuchliche Gestaltung (§ 42 AO), sofern keine wirtschaftlich vernünftigen außersteuerlichen Gründe vorliegen und nachgewiesen werden können. Die Rechtsprechung sieht derartige Gestaltungen regelmäßig als nicht missbräuchlich an. Nach Ansicht des BFH unterliegen zivilrechtlich wirksam beschlossene inkongruente Gewinnausschüttungen keiner allgemeinen steuerlichen Angemessenheitskontrolle (BFH, VIII R 20/20). Dennoch sollten – im Vorgriff auf etwaige spätere Diskussionen mit der Finanzverwaltung – die außersteuerlichen Gründe für eine disquotale bzw. zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung schon bei Beschlussfassung hinreichend dokumentiert werden.

 

4. Ausblick

Die Rechtsprechung des BFH zu disquotalen bzw. zeitlich inkongruenten Gewinnausschüttungen eröffnet eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten. Auch wenn nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung nunmehr zivilrechtlich wirksame satzungsdurchbrechende Beschlüsse einer steuerlichen Anerkennung nicht entgegenstehen, sollten entsprechende Beschlüsse – jedenfalls bis die Finanzverwaltung die BFH-Rechtsprechung durch Ergänzung des o.g. BMF-Schreibens anerkennt – weiterhin auf Grundlage einer satzungsmäßigen Regelung bzw. einer Öffnungsklausel vorgenommen werden.

Andreas Scheidle

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