Zugang Von E-Mails Im Unternehmerischen Geschäftsverkehr

Immer wieder werfen vermeintlich triviale und alltägliche Vorgänge rechtlich durchaus kniffelige Fragen auf. Ein Beispiel hierfür ist die für die Praxis überaus bedeutsame Frage, zu welchem Zeitpunkt per E-Mail übermittelte Erklärungen dem Empfänger zugehen. Zumindest für E-Mails, die im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu den üblichen Geschäftszeiten eingehen, hat der Bundesgerichtshof dies nunmehr geklärt (BGH, Urteil v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21, NJW 2022, 3791).

 

 

1. Sachverhalt

Ein Bauunternehmen hatte einem Auftraggeber (ebenfalls ein Unternehmen) mit einer an einem Werktag um 09.19h versandten E-Mail den Abschluss eines Vergleichs über streitige Zahlungsansprüche angeboten. Mit einer weiteren E-Mail von 09.56h (d.h. nur 37 Minuten später) übermittelte das Bauunternehmen einen geänderten Vergleichsvorschlag mit einem höheren Zahlbetrag und bat darum, die erste E-Mail unberücksichtigt zu lassen.

Eine Woche später zahlte der Auftraggeber den in der ersten E-Mail geforderten Geldbetrag und stellte sich auf den Standpunkt, dass auf diese Weise gem. § 147 Abs, 2 BGB ein wirksamer Vergleich zustande gekommen sei. Das Bauunternehmen ging demgegenüber davon aus, das erste Vergleichsangebot mit seiner zweiten E-Mail rechtzeitig widerrufen zu haben.

 

2. Rechtliche Ausgangslage

Für die Entscheidung des BGH kam es damit darauf an, wann genau dem Auftraggeber die erste E-Mail im Rechtssinne zugegangen war. Denn mit Zugang dieser E-Mail hatte das Bauunternehmen seinem Auftraggeber den Abschluss eines Vergleichs angeboten. An dieses Angebot war das Bauunternehmen gem. § 145 BGB gebunden – es sei denn, dem Auftraggeber wäre noch vor oder zumindest gleichzeitig mit dem Zugang dieses Angebots mit der zweiten E-Mail ein Widerruf bzw. ein geändertes Angebot zugegangen (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Der Zugang einer Willenserklärung (hier: das Angebot zum Vergleichsschluss) unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann genau eine E-Mail als zugegangen gilt, war bislang heftig umstritten:

Nach einer Ansicht geht eine E-Mail in dem Zeitpunkt zu, in dem sie abrufbereit im elektronischen Postfach des Empfängers eingeht. Eine Ausnahme soll nur für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht. In diesem Fall erfolge der Zugang der Erklärung erst am Folgetag.

Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger dagegen erst dann zu, wenn (i) die E-Mail im elektronischen Postfach liegt und (ii) ein Abruf nach üblichem Geschäftsablauf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann.

 

3. Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 6.12.2022 geurteilt, dass jedenfalls in Fällen, in denen eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, die E-Mail dem Empfänger grundsätzlich auch bereits in diesem Zeitpunkt zugegangen ist. Denn bereits damit sei die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen könne. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen werde, sei für den Zugang nicht erforderlich.

Im vom BGH entschiedenen Fall war das erste Vergleichsangebot dem Empfänger somit bereits um 09.19h zugegangen und zwar unabhängig davon, ob dieser das Angebot zu diesem Zeitpunkt auch bereits zur Kenntnis genommen oder hierzu auch nur die konkrete Möglichkeit gehabt hatte (was z.B. im Falle eines parallel stattfindenden Besprechungstermins in anderer Angelegenheit o.ä. nicht der Fall gewesen wäre). Der um 09.56h erfolgte Widerruf des ersten Angebots durch Übermittlung eines geänderten Vergleichsangebots war damit nach Auffassung des BGH verspätet.

 

4. Folgen für die Praxis

Zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr ist damit davon auszugehen, dass während der üblichen Geschäftszeiten versandte E-Mails und E-Mailanhänge dem Empfänger in der Regel bereits unmittelbar nach Versendung (und Eingang auf dem E-Mailserver des Empfängers) zugehen. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist dies beispielsweise für die Frage des rechtzeitigen Zugangs von per E-Mail versandten Kündigungserklärungen.

Wichtige Fragen sind allerdings weiterhin ungeklärt. So besteht erhebliche Unsicherheit, was unter den üblichen Geschäftszeiten zu verstehen ist. Bei einer wirtschaftsrechtlich beratenden Anwaltskanzlei oder einem Private Equity Unternehmen dürften diese Zeiten andere sein als bei einem Handwerksunternehmen. Die Vorstellung, eine am letzten Tag der Kündigungsfrist um 23.50h per E-Mail versandte Kündigung sei noch rechtzeitig zugegangen, dürfte sich aber in den allermeisten Fällen als Irrglaube erweisen.

Ebenfalls offen bleibt, wann eine E-Mail einem Verbraucher zugeht und wie der Zugangszeitpunkt im Falle des Eingangs von E-Mails außerhalb der üblichen Geschäftszeiten zu ermitteln ist. Für die letztgenannte Konstellation dürfte es nahe liegen, auf den Beginn der üblichen Geschäftszeiten am Tag des Eingangs (bei E-Maileingängen vor Geschäftsöffnung) bzw. am nächsten Werktag (bei E-Maileingängen nach Geschäftsschluss) abzustellen. Bei Verbrauchern wird hingegen zu fragen sein, wann unter gewöhnlichen Umständen damit zu rechnen ist, dass ein Verbraucher eine in seinem E-Mailpostfach eingegangene Nachricht abruft. Häufig dürfte ein Zugang damit wohl erst am Folgetag zu bejahen sein. Sofern ein Verbraucher eine E-Mailadresse nur für gesellschaftliche Zwecke und nicht auch im Rechtsverkehr nutzt, stellt sich zudem die Vorfrage, ob rechtsgeschäftliche Erklärungen überhaupt per E-Mail zugehen können.

 

* * * *

 

Wenn Sie Fragen haben, sprechen Sie uns bitte jederzeit sehr gerne direkt an.

Dr. Philip Peitsmeyer

Karolinen Karree
Karlstr. 10
80333 München



T: +49 89 89 05 89-266
F: +49 89 89 05 89-299
peitsmeyer@glns.de
vCard herunterladen

LinkedIn