Aufsichtsrats- und Beiratsvergütungen: Künftig gilt nicht mehr automatisch die Umsatzsteuerpflicht

Die Finanzverwaltung hat ihre bisherige steuerliche Einschätzung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Aufsichtsrats- und Beiratsvergütungen geändert. Grund dafür ist die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH; Urteil vom 13.6.2019, C-420/18 - IO), des Bundesfinanzhofs (BFH; Urteil vom 27.09.2019, V R 23/19) und der Finanzgerichte. Sowohl Unternehmen als auch Aufsichtsrats- und Beiratsmitglieder sollten noch vor Jahresende prüfen, ob bei ihren bestehenden Vergütungsstrukturen Handlungsbedarf besteht.

Von Andreas Scheidle, Rechtsanwalt und Steuerberater

I. Hintergrund

Zunächst ging die Rechtsprechung des BFH, wie auch die Finanzverwaltung, davon aus, dass Mitglieder von Aufsichtsräten selbständig tätig und daher als umsatzsteuerlicher Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG zu qualifizieren sind. Dies hatte zur Folge, dass die Vergütung für Aufsichtsräte der Umsatzsteuer unterlag.

In der Rechtssache IO hat der EuGH allerdings entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied keine selbständige Tätigkeit ausübt, wenn es lediglich eine feste Vergütung erhält und daher nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt. Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung geändert und geht nun davon aus, dass ein Aufsichtsratsmitglied dann nicht selbständig tätig (d.h. kein Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG) ist, wenn das Aufsichtsratsmitglied aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt.

 

II. Änderungen der Sichtweise der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung hat sich nunmehr der geänderten Rechtsprechung angeschlossen und den Umwandlungssteueranwendungserlass (UStAE) geändert (vgl. BMF-Schreiben vom 8. Juli 2021).

Danach ist das Mitglied eines Aufsichtsrats dann nicht selbständig tätig, wenn es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt. Eine Festvergütung soll insbesondere im Fall einer pauschalen Aufwandsentschädigung vorliegen, die dem Aufsichtsratsmitglied für die Dauer der Mitgliedschaft gezahlt wird. Sitzungsgelder, die für die tatsächliche Teilnahme an Sitzungen gezahlt werden oder nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen sind hingegen keine feste, sondern eine variable Vergütung. Die Vergütung kann sowohl in Geldzahlungen als auch in Sachzuwendungen bestehen.  

Erhält das Aufsichtsratsmitglied für die Tätigkeit sowohl feste wie auch eine variable Vergütung (eine sogenannte Mischvergütung), ist nach der prozentualen Höhe der variablen Vergütung zu unterscheiden: Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist ein Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich dann selbstständig tätig, wenn die variablen Vergütungsbestandteile (einschließlich Sitzungsgelder und Aufwandsentschädigungen) im jeweiligen Kalenderjahr mindestens 10 Prozent der gesamten Aufsichtsratsvergütung betragen. Erstattung von tatsächlich angefallenen Reisekosten sind keine Vergütungsbestandteile und daher für die Ermittlung der 10 Prozent-Grenze irrelevant. In begründeten Einzelfällen sollen bei der Mischvergütung Ausnahmen gemacht werden können; die Finanzverwaltung lässt allerdings offen, unter welchen Umständen ein solcher Ausnahmefall vorliegen könnte.

Unternehmen sollten nun für jedes Mandat eines Aufsichtsrates anhand der genannten Kriterien gesondert prüfen, ob im konkreten Fall das Aufsichtsratsmitglied selbständig oder nichtselbständig tätig ist.

Diese Grundsätze sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht nur für klassische Aufsichtsratsmitglieder gelten, sondern auch für Mitglieder von anderen Gremien, die nicht der Ausübung, sondern der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder Personenvereinigung dienen.

Sofern die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds als selbständig anzusehen ist, unterliegt die Vergütung – wie schon bisher – der Umsatzsteuer.

III. Ausblick und Handlungsbedarf

Die geänderte Verwaltungsauffassung ist auf alle Fälle, die steuerliche noch nicht bestandskräftig sind, anzuwenden. Zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten - auch bezogen auf den Vorsteuerabzug - wird es seitens der Finanzverwaltung toleriert, wenn Leistungen, die bis zum 31. Dezember 2021 erbracht werden, umsatzsteuerlich noch nach den alten Regelungen behandelt werden.

Spätestens für Leistungen, die ab dem 1. Januar 2022 erbracht werden, sind jedoch die neuen Maßstäbe anzuwenden. Ist beispielsweise die Gesellschaft nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt (wie es etwa bei einer reinen Holdinggesellschaft der Fall ist), kann es sinnvoll sein, die Vergütung so auszugestalten, dass die 10 Prozent-Grenze nicht erreicht wird. Denn in diesem Fall ist die Vergütung für das Aufsichtsratsmitglied nicht zusätzlich mit Umsatzsteuer belastet.

Zudem ist darauf zu achten, dass auch die Abrechnung der Aufsichtsratstätigkeit durch Rechnung beziehungsweise Gutschrift die geänderte Verwaltungsauffassung berücksichtigt. Das heißt konkret, je nachdem, ob eine Tätigkeit als selbstständig oder unselbstständig eingeordnet wird, sollte ein gesonderter Ausweis der Umsatzsteuer erfolgen oder eben nicht.