Marktentwicklungen im Bereich Venture Capital: Venture Debt auf dem Vormarsch?

Alles Gute kommt aus Amerika, das gilt jedenfalls im Bereich Venture und Growth Capital: Eine auch in Deutschland wahrnehmbare Entwicklungen, nämlich die zunehmende Fremdfinanzierung von Wachstumsunternehmen (auch als „Venture Debt“ bezeichnet), wird nachfolgend etwas näher betrachtet.

Die Besonderheit von Venture Debt besteht – im Vergleich zu einem herkömmlichen Bankkredit – darin, dass Darlehensnehmer ein Start-Up oder Wachstums-Unternehmen ist, also ein Unternehmen dessen operativer Geschäftsbetrieb noch nicht ausreichend oder gerade so viel liquide Mittel generiert, dass die Kosten des Unternehmens gedeckt werden können. Unter Cash Flow-Gesichtspunkten macht es also aus Sicht eines Wachstumsunternehmens an sich wenig Sinn, ein in den meisten Fällen annuitätisch ausgestaltetes Darlehen in Anspruch zu nehmen.

Warum sieht man in letzter Zeit trotzdem in zunehmendem Maße Fremdkapital in der Finanzierung von Wachstumsunternehmen?

Eine Erklärung mag darin liegen, dass die Aufnahme von Fremdkapital die Verwässerung der (Eigenkapital)Investoren vermeiden kann. Denn wirtschaftlich sind die laufend zu zahlenden Zinsen (sowie etwaige andere Gegenleistungen für die zeitweise Kapitalüberlassung) als eine Art Optionsprämie zu sehen: Dem Fremdkapital aufnehmenden Wachstumsunternehmen ist es durch Aufnahme des Fremdkapitals möglich, eine Eigenkapitalfinanzierung vorläufig zu vermeiden und in einem Marktumfeld wie dem derzeitigen, d.h. einem Marktumfeld sehr schnell wachsender Bewertungen, bei einer Eigenkapitalfinanzierung zu einem späteren Zeitpunkt eine deutlich höhere Bewertung zu erzielen (und damit im Ergebnis bereits investierte Eigenkapitalgeber weniger zu verwässern). Insofern kann man Venture Debt als opportunistische Finanzierungsform begreifen. Anders als ein Wandeldarlehen (Convertible Note/Loan) ist der klassische Venture Debt kein Mittel zur kurzfristigen Zwischenfinanzierung einer demnächst anstehenden Eigenkapitalfinanzierung, sondern darauf gerichtet, innerhalb der Laufzeit (typisch sind drei Jahre) vollständig zurückgeführt zu werden (mit ggf. höherer Schlusszahlung).

Juristisch handelt es sich (auch) bei der Fremdfinanzierung von Wachstumsunternehmen um einen (typischen) Kreditvertrag mit Sicherheiten (Senior Debt), der allerdings typischerweise mit einer Option des Darlehensgebers kombiniert wird, Anteile am Darlehensnehmer zu einer im Vorfeld fest gelegten Bewertung zu erwerben (teilweise abgesichert durch ein entsprechend ausgestaltetes genehmigtes Kapital). Neben Sicherheiten an einzelnen oder auch allen Vermögensgegenständen des Darlehensgebers werden dem Darlehensnehmer typischerweise auch Mitspracherechte im Hinblick auf den operativen Geschäftsbetrieb des Darlehensnehmers eingeräumt, insbesondere solche Maßnahmen, die Einfluss auf die Kapitalstruktur/Liquiditätssituation des Darlehensnehmers haben (können). Der Vertragsstandard ist auch in Deutschland angelsächsisch geprägt (teilweise unterliegen die Kreditverträge auch UK-Recht) und erinnert schon optisch an LMA-Kreditverträge (wenn auch in light-Version).

Das Nebeneinander von Kreditvertrag und Option auf Anteilserwerb wird dabei so strukturiert, dass die Option auf Erwerb von Anteilen (Equity Kicker) typischerweise erst nach Rückzahlung des Darlehens ausgeübt wird bzw. werden kann. Auf diese Weise wird das Risiko, dass die Finanzierung als eine einem Gesellschafterdarlehens vergleichbare Finanzierung angesehen wird (Stichwort atypischer Pfandgläubiger), minimiert, wenn auch nicht ganz ausgeschlossen. Darlehensnehmer und Darlehensgeber haben dabei, d.h. soweit es um die Vermeidung der Einordnung als Gesellschafterdarlehen geht, gleichgerichtete Interessen: Der Darlehensgeber möchte sein Darlehen dem Anwendungsbereich der Regeln über Gesellschafterdarlehen entziehen (insbesondere die §§ 39, 135 InsO), während dem Darlehensnehmer daran gelegen ist, den mit einem Kreditvertrag verbundenen Administrationsaufwand insbesondere im Hinblick auf Zustimmungsvorbehalte möglichst gering zu halten um sich voll auf die Entwicklung des operativen Geschäfts konzentrieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht überraschend, dass sich auch im Bereich Venture Debt, trotz des vergleichsweise jungen Marktes, schon klare Vertragsstandards ausgebildet haben, die nur in wenigen Punkten verhandelbar sind, bzw. aus Sicht des Kreditnehmers verhandelt werden müssen.

Ob sich die Fremdfinanzierung auch schon in der Frühphase als Finanzierungsform durchsetzen kann, hängt sicherlich auch von der Entwicklung des Marktes im Venture Capital/Growth Capital-Bereich als solchem ab. Denn– wie oben bereits angedeutet – ist die Fremdfinanzierung eines Unternehmens, dem operativ Cash zugeführt werden muss, nur dann wirklich sinnvoll, wenn sich innerhalb des durch das Fremdkapital „erkauften“ Zeitraums eine Möglichkeit bietet, das Fremdkapital durch Eigenkapital zu refinanzieren – und das zu deutlich besseren Konditionen (d.h. insbesondere zu einer deutlich höheren Bewertung) als sie zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fremdkapitals angeboten werden.