Wissenszurechnung beim Unternehmens­kauf

In einem aktuellen Urteil hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass das Wissen des Geschäftsführers der Zielgesellschaft, der bei einem Unternehmenskauf von vornherein am Unternehmen des Käufers beteiligt werden soll, dem Käufer analog § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen sein kann. Der Umfang der Wissenszurechnung kann jedoch vertraglich eingeschränkt werden. (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Juni 2016, Az.: I-6 U 20/15, nicht rechtskräftig).

I. Sachverhalt

Die Klägerin erwarb unter anderem von der Beklagten mit Anteilskaufvertrag alle Geschäftsanteile an der A-GmbH („Zielgesellschaft“). Die Geschäftsführer der Zielgesellschaft erwarben mit Anteilskaufvertrag vom selben Tag eine Beteiligung an der Klägerin in Höhe von insgesamt 49% und wurden als Geschäftsführer der Klägerin bestellt.

In dem Anteilskaufvertrag garantierte die Beklagte, dass der Jahresabschluss der Zielgesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften erstellt worden sei und zu dem maßgeblichen Stichtag ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittle. Ferner vereinbarten die Parteien, dass Ansprüche der Klägerin ausgeschlossen seien, soweit sie die dem Anspruch zu Grunde liegenden Tatsachen oder Umstände kannte. Hinsichtlich der Bilanzgarantie musste sich die Käuferin insoweit die Kenntnis der Geschäftsführer wie eigene Kenntnis zurechnen lassen.

Tatsächlich waren der Klägerin bei den Verhandlungen über den Anteilskaufvertrag Buchungsunterlagen sowie Bilanzpositionen in den Jahresabschlüssen der vorangegangenen Geschäftsjahre durch die Geschäftsführer der Zielgesellschaft vorgelegt worden, die mit den tatsächlichen Gegebenheiten und den anerkannten Grundsätzen der Bilanzierung nicht übereinstimmten. Der Klägerin wurde hierdurch der Eindruck einer besseren wirtschaftlichen Lage der Zielgesellschaft vermittelt.

Zuvor hatten G und H selbst erfolglos versucht, die Geschäftsanteile an der A-GmbH und der C-GmbH im Rahmen eines Management Buy-Outs von der Beklagten zu erwerben, konnten jedoch die erforderliche Finanzierung nicht aufbringen.

Sechs Monate nach Abschluss der Transaktion wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Zielgesellschaft gestellt.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Verletzung vorvertraglicher Informations- und Aufklärungspflichten in Anspruch und verlangt unter anderem Rückabwicklung des Anteilskaufvertrags hinsichtlich der Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft.

II. Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf hat der Klage teilweise stattgegeben und einen Schadensersatzanspruch aus einer vorsätzlichen vorvertraglichen Pflichtverletzung bejaht.

Zwischen den Parteien ist im Rahmen der Verhandlungen ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen. Die Beklagte hat ihre hierausfolgenden Aufklärungs- und Informationspflichten verletzt, indem sie objektiv unrichtige Angaben über wesentliche wertbildende Faktoren, nämlich in Bezug auf bilanzrelevante Sachverhalte, gemacht hat. Nach Auffassung des OLG Düsseldorfs muss sich die Beklagte das vorsätzliche Verhalten der Geschäftsführer der Zielgesellschaft gemäß § 166 Abs. 1 BGB wie eigenes Verschulden zurechnen lassen, soweit es um deren unrichtige Angaben zu den Buchungsunterlagen und den Bilanzpositionen in den Jahresabschlüssen geht. Die Geschäftsführer der Zielgesellschaft seien als Erfüllungsgehilfen der Beklagten anzusehen. Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit der Hilfsperson tätig wird. Dies folgt für die Geschäftsführer daraus, dass ihnen als Geschäftsführer neben der Buchführung die Erstellung der Jahresabschlüsse und deren Vorlage bei der Beklagten oblag.

Eine solche Zurechnung sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Geschäftsführer zunächst selbst versucht hatten, die Zielgesellschaft zu erwerben und auch die Transaktion infolge der Beteiligung der Geschäftsführer an der Klägerin Züge eines Management Buy-Outs aufweise. Typischerweise kommen in der Konstellation eines Management Buy-Outs Schadensersatzansprüche wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung kaum in Betracht. Im vorliegenden Fall sei eine solche Konstellation jedoch nicht gegeben, da der Erwerb der Zielgesellschaft durch die Klägerin nicht allein der Finanzierung des Erwerbs durch die Geschäftsführer diente.

Im vorliegenden Fall führe dieser Umstand jedoch dazu, dass sich auch die Klägerin das Verhalten der Geschäftsführer gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog zurechnen lassen muss.

Eine solche Wissenszurechnung folge zwar nicht bereits aus der in dem Anteilskaufvertrag vereinbarte Regelung, dass sich die Käuferin die Kenntnis der Geschäftsführer in Bezug auf die Bilanzgarantie zurechnen lassen muss. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf wirkt diese Regelung nur wie eine Wissenszurechnung in Bezug auf Ansprüche aus den Garantien in dem Anteilskaufvertrag. Sie führe allerdings nicht dazu, dass der Klägerin das Verhalten der Geschäftsführer als Erfüllungsgehilfen zuzurechnen sei.

Die Klägerin muss sich das Wissen der Geschäftsführer jedoch unter dem Gesichtspunkt vorzeitig übergegangener Loyalität zurechnen lassen. Eine solche Zurechnung ergibt sich daraus, dass der Kontakt zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Geschäftsführer Zielgesellschaft zustande gekommen war. Die Geschäftsführer der Zielgesellschaft hatten zudem bereits vor der Transaktion mit der Klägerin ohne Kenntnis der Beklagten Gespräche mit dem Ziel der Begleitung bei dem beabsichtigten eigenen Erwerb der Anteile an der Zielgesellschaft geführt. Schließlich haben die Geschäftsführer der Zielgesellschaft im Rahmen der Transaktion eine Beteiligung an der Klägerin erworben und wurden als Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Damit seien die Geschäftsführer dem Lager der Klägerin zuzurechnen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass der Käufer vor allem in Konstellationen, in denen die Geschäftsführung der Zielgesellschaft im Rahmen der Transaktion beteiligt wird, beachten muss, dass die vertragliche Zurechnung der Kenntnis der Geschäftsführung in dem Kaufvertrag ausdrücklich ausgeschlossen wird.