BMF schränkt Anwendungsbereich der Anti Treaty Shopping-Regelung (§ 50d Abs. 3 EStG) ein

Mit Schreiben vom 04.04.2018 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in Folge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (C-504/16 Deister Holding sowie C-613/16 Juhler Holding) den Anwendungsbereich der Anti Treaty Shopping-Regelung (§ 50d Abs. 3 EStG) im Hinblick auf die Entlastungsberechtigung nach der Mutter-Tochter-Richtlinie eingeschränkt.

 

I.            Hintergrund

Werden von einer inländischen Kapitalgesellschaft Dividenden ausgeschüttet, hat die ausschüttende Gesellschaft grundsätzlich Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Wird die Dividende an einen ausländischen Gesellschafter ausgeschüttet, ist unter bestimmten Voraussetzungen nach der Mutter-Tochter-Richtlinie bzw. nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) in Deutschland keine bzw. eine geringere Quellensteuer auf die Dividendenausschüttung einzubehalten bzw. kann der ausländische Gesellschafter sich die einbehaltende Kapitalertragsteuer (teilweise) erstatten lassen.

Die sog. Anti Treaty Shopping-Regelung (§ 50d Abs. 3 EStG) schränkt den Anspruch des ausländischen Gesellschafters auf Freistellung bzw. Erstattung von Kapitalertragsteuer ein. Die Norm soll verhindern, dass sich Steuerpflichtige, denen selbst kein Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuer nach DBA oder EU-Recht zusteht, die Entlastung durch die – vermeintlich missbräuchliche – Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften verschaffen.

Im Dezember vergangenen Jahres hatte der EuGH (Urteil vom 20.12.2017 in den verbundenen Rechtssachen C‑504/16 Deister Holding und C-613/16 Juhler Holding) entschieden, dass die bis 2011 anwendbare Fassung des § 50d Abs. 3 EStG („§ 50d Abs. 3 EStG 2007“) sowohl gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.

Schon längere Zeit war umstritten, ob die Anti Treaty Shopping-Regelung gegen die Grundfreiheiten verstößt. Um den europarechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen, hatte der Gesetzgeber bereits im Jahr 2011 eine Korrektur der Vorschrift mit Wirkung zum 1.1.2012 vorgenommen („§ 50d Abs. 3 EStG 2012“). Die Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG 2012 in seiner derzeitigen Fassung mit EU-Recht ist noch nicht abschließend geklärt. Ein entsprechendes Verfahren ist derzeit noch beim EuGH anhängig (C-440/17).

 

II.        Einzelheiten des BMF-Schreibens

Das BMF hat nunmehr auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert und den Anwendungsbereich der Anti Treaty Shopping-Regelung in der Altfassung deutlich eingeschränkt. Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 ist in allen noch offenen Fällen, in denen eine Entlastung von der Kapitalertragsteuer auf Basis der Mutter-Tochter-Richtlinie geltend gemacht wird, nicht mehr anzuwenden.

Aber auch der Anwendungsbereich für die derzeit gültige Fassung (§ 50d Abs. 3 EStG 2012) wurde durch das BMF-Schreiben vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung im Hinblick auf die Entlastungsberechtigung nach der Mutter-Tochter-Richtlinie eingeschränkt und die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben zu § 50d EStG vom 24.01.2012) punktuell korrigiert. Bislang wurde für die Prüfung, ob wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft und eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit dieser Gesellschaft vorliegen, ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft abgestellt. Organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen von Konzerngesellschaften waren nicht zu berücksichtigen (§ 50d Abs. 3 S. 2 EStG 2012). Nach dem BMF-Schreiben ist § 50d Abs. 3 S. 2 EStG 2012 insoweit nicht mehr anzuwenden, mit der Folge, dass nunmehr eine missbräuchliche Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft auch unter Einbeziehung der Merkmale von Konzerngesellschaften widerlegt werden kann (sog. Merkmalsübertragung im Konzern). Im Einzelfall sollen nach dem BMF-Schreiben wirtschaftliche oder sonstige Gründe fehlen, wenn nach einer Gesamtwürdigung die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft alleine dazu dient, steuerliche Vorteile in Anspruch zu nehmen.

In dem BMF-Schreiben werden auch die Anforderungen hinsichtlich der Teilnahme der ausländischen Gesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr modifiziert. Nunmehr soll die Gesellschaft auch insoweit am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen, als sie ihre Erträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt. Im Fall einer (passiven) Beteiligungsverwaltung gilt dies nur, wenn die Gesellschaft ihre Rechte als Gesellschafterin auch tatsächlich ausübt.

Nach dem Wortlaut des BMF-Schreibens sollen die Einschränkungen bei der Anwendung der Anti Treaty Shopping-Regelung nur gelten, wenn eine Entlastungsberechtigung unter der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) beansprucht wird. Es ist somit davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die Anti Treaty Shopping-Regelung unverändert anwenden wird, wenn Erstattungs- oder Freistellungsansprüche nach DBA oder unter der Zins- und Lizenzrichtlinie geltend gemacht werden.

 

III.       Ausblick 

Ausgehend von den Grundsätzen, die der EuGH zur Altfassung des § 50d Abs. 3 EStG aufgestellt hat, darf bezweifelt werden, dass die aktuelle Fassung der Anti Treaty Shopping-Regelung vor dem EuGH im Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie Bestand haben wird. Entsprechende Bescheide sollten bis zum Abschluss des EuGH-Verfahrens offen gehalten werden.