Venture Debt Revisited: Entwicklung einer Nische im deutschen Venture Capital Markt

1. Einleitung

Bereits in der Ausgabe 2/2014 unseres Newsletters setzten wir uns mit der zu diesem Zeitpunkt auch in Deutschland wahrnehmbaren Entwicklung auseinander, dass Start-ups und noch nicht profitable Wachstumsunternehmen zunehmend Fremdfinanzierungen von hierauf spezialisierten Kreditgebern erhalten – ein Finanzierungselement, das im großen und entwickelten Venture Capital Markt der USA schon lange üblich ist. Nach nun fünf Jahren halten wir es für angebracht, diese als „Venture Debt“ bezeichnete Nische im deutschen Venture Capital Markt und ihre Entwicklung auch vor dem Hintergrund unserer Praxis in den letzten Jahren erneut anzusehen.

2. Was ist Venture Debt?           

Der Begriff „Venture Debt“ bezeichnet Fremdfinanzierungen für junge, wachstumsorientierte und noch nicht profitable Unternehmen, die gekennzeichnet sind durch typischerweise mittelfristige Laufzeiten, regelmäßige Zins- und oftmals auch Tilgungszahlungen, eine erstrangige Besicherung am gesamten Vermögen des finanzierten Unternehmens sowie eine risikoadäquate Festverzinsung plus zusätzlicher Beteiligung des Finanzierers an der Wertsteigerung des Unternehmens.

Auch wenn Venture Debt aufgrund der im Rahmen der Preisgestaltung üblicherweise vorgesehenen Anteilsbezugsrechte (Warrants) (sog. „Equity Kicker“) den im Venture Capital Umfeld ebenfalls üblichen Wandeldarlehen (Convertible Loans) ähnelt, handelt es sich dabei um unterschiedliche Instrumente: Wandeldarlehen werden typischerweise nicht zurückgezahlt, sondern im Rahmen der nächsten Finanzierungsrunde in Eigenkapital gewandelt, und sind damit oftmals ein Mittel entweder zur kurzfristigen Zwischenfinanzierung einer in absehbarer Zeit anstehenden Eigenkapitalfinanzierungsrunde oder zur Anschubfinanzierung in einer frühen Phase, wenn eine Bewertung des Unternehmens für Zwecke der Eigenkapitalfinanzierung noch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Wandeldarlehen werden daher regelmäßig von Eigenkapitalinvestoren ausgereicht, während Venture Debt von auf diese Form des Fremdkapitals spezialisierte Anbieter zur Verfügung gestellt wird. Da sich die Vergütung für Wandeldarlehen zu einem erheblichen Teil aus einem Abschlag auf die Bewertung der nächsten Finanzierungsrunde ergibt, sehen Wandeldarlehen regelmäßig eine (deutlich) niedrigere Verzinsung als Venture Debt vor. Eine Venture Debt Finanzierung hingegen ist stets zurückzuzahlen und dem Venture Debt Geber eingeräumte Anteilsbezugsrechte stellen alleine eine zusätzliche Vergütung dar.

3. Entwicklung des Venture Debt Markts in Deutschland

Offizielle Statistiken zum Umfang des Venture Debt Markts sind nicht verfügbar. Man geht davon aus, dass in den USA über 25 % der Venture Capital finanzierten Unternehmen auch Venture Debt Finanzierungen erhalten. Der deutsche Venture Debt Markt ist hingegen noch deutlich schwächer entwickelt und dürfte sich derzeit auf nur bis zu 5 % der Venture Capital finanzierten Unternehmen beschränken. Das weitere Wachstum des Venture Debt Markts in Deutschland ist jedoch erklärtes Ziel der Politik, die Venture Debt als wichtiges Bindeglied zwischen dem Wagniskapitalmarkt und dem klassischen Kapitalmarkt identifiziert hat, und verschiedene Initiativen und Ereignisse in jüngerer Zeit deuten darauf hin, dass Venture Debt auch in Deutschland weitere Verbreitung finden wird:

So hat der Bund Anfang 2019 als Teil der Tech Growth Fund-Initiative der Bundesregierung zusammen mit der KfW Bankengruppe das Programm „Venture Tech Growth Financing“ ins Leben gerufen, unter dem jährlich insgesamt EUR 50 Mio. für Venture Debt Finanzierungen zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung für die Vergabe ist unter anderem, dass die Finanzierung gemeinsam mit einem privaten Kreditgeber erfolgt, der in der Regel 50 % der Finanzierung zu gleichen Bedingungen (pari passu) vergeben muss. Hierdurch soll dem Venture Debt Markt von staatlicher Seite weiter Auftrieb verschafft werden. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB), die Förderbank der Europäischen Union, verfügt über ein Venture Debt Programm.

Ein vielbeachtetes Ereignis für den deutschen Venture Debt Markt war zudem die Gründung einer Niederlassung der Silicon Valley Bank in Frankfurt am Main in der ersten Jahreshälfte 2018. Das wohl weltweit größte, auf diese Finanzierungsform spezialisierte Kreditinstitut bediente den deutschen Markt bislang aus der Niederlassung in London und die Gründung einer eigenen deutschen Niederlassung wird von vielen Seiten als Signal für die steigende Bedeutung dieses Nischenmarkts auch in Deutschland angesehen.

Unmittelbar in Deutschland tätig ist daneben seit geraumer Zeit Davidson Capital, ein Pionier dieser Branche in Deutschland. Andere Investoren decken den deutschen Markt aus London heraus (mit) ab, so etwa seit Ende 2017 der Investment Fonds Global Growth Capital, hinter dem Rocket Internet steht. Ebenfalls aus London heraus auch in Deutschland tätig sind Kreos Capital, einer der großen Investoren in diesem Segment in Europa, Harbert European Growth Capital sowie andere etablierte internationale Venture Debt Investoren.

4. Warum Venture Debt?

Für den Einsatz von Venture Debt spricht aus Sicht der Gründer und bestehenden Eigenkapitalinvestoren vor allem, dass die Kapitalbasis des Unternehmens verbreitert werden kann, ohne dass hierdurch die Beteiligung der Gründer und Bestandsinvestoren (wesentlich) verwässert wird. Das zusätzliche Kapital kann dann den Abstand zwischen Eigenkapitalfinanzierungsrunden vergrößern, ein wichtiges Zwischenziel in der Unternehmensentwicklung finanzieren und so unter Umständen zu einer (deutlich) höheren Unternehmensbewertung (pre-money) im Rahmen der nächsten Finanzierungsrunde führen. Zusätzlich können auch weiche Faktoren bei der Entscheidung für eine Venture Debt Finanzierung eine Rolle spielen, wie etwa der Aufbau erster Erfahrungen mit Fremdfinanzierungen und der dafür erforderlichen internen Prozesse vor Eintritt in den regulären Bankenmarkt.

Der Einsatz von Fremdkapital erhöht jedoch das Insolvenzrisiko des Unternehmens und damit auch die Risikoposition der Eigenkapitalgeber, die gegenüber dem Venture Debt Investor in der Insolvenz nachrangig sind. Gerade in einer wirtschaftlichen Schieflage können die Interessen von Venture Debt und Venture Capital Investoren auseinanderlaufen. Der Kreditgeber könnte womöglich dann weniger Geduld aufweisen als die Eigenkapitalinvestoren und durch Kündigung der Finanzierung eine Insolvenz des Kreditnehmers verursachen. Auch auf die Liquiditätssituation des Unternehmens wirkt sich der regelmäßige Schuldendienst aus und kann dem Unternehmen für die Weiterentwicklung des Unternehmens benötigte finanzielle Mittel entziehen. Ein Wachstumsunternehmen sollte daher auf Venture Debt verzichten, wenn der Finanzierungsbedarf auf strukturellen Problemen des Unternehmens beruht, eine kurzfristige Steigerung des Unternehmenswerts vernünftigerweise nicht zu erwarten ist und der Schuldendienst eine erhebliche Belastung des Unternehmens zur Folge hätte.

5. Kriterien für die Vergabe von Venture Debt

Traditionelle Kriterien für eine Bankfinanzierung erfüllen junge, Venture Capital finanzierte Unternehmen typischerweise nicht: Regelmäßig ist die Rückzahlung weder durch den derzeitigen operativen Cashflow noch durch den Wert von als Sicherheit gestelltem Vermögen, insbesondere im Fall vieler „asset-light“ operierenden Tech-Unternehmen, gewährleistet.

Entscheidend für die Vergabe von Venture Debt ist daher vor allem, dass das Unternehmen über ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell mit einem starken und nachhaltigen Umsatzwachstum verfügt, dem keine wesentlichen Technologierisiken mehr entgegenstehen, sowie über einen Cashflow, der ausreicht, um Zinszahlung und Tilgung zu ermöglichen. Daneben muss das Management Team des Unternehmens über ausreichend Erfahrung verfügen, um das Unternehmen erfolgreich in die nächste Wachstumsphase führen zu können. Wesentlicher Indikator für diese Kriterien und daher in aller Regel von außerordentlich großer Bedeutung für die Kreditentscheidung ist das Investment und die Unterstützung des Start-ups durch einen renommierten Venture Capital Investor. Da die Aufnahme von Venture Debt oftmals im Zusammenhang mit einer Eigenkapitalfinanzierungsrunde erfolgt, setzt der Venture Debt Investor regelmäßig auf die Due Diligence des Venture Capital Investors auf. Zudem vertraut der Venture Debt Investor darauf, dass der Venture Capital Investor die Unternehmensentwicklung zielgerichtet vorantreibt sowie ggf. auch in weiteren Finanzierungsrunden Eigenkapital nachschießen wird, welches unter Umständen die Venture Debt Finanzierung ablöst.

6. Vertragsgestaltung und typische Vertragsbedingungen von Venture Debt

Während die Dokumentation von Venture Debt Finanzierungen in Deutschland noch vor ein paar Jahren einen geringen Standardisierungsgrad aufwiesen, findet inzwischen vermehrt eine Angleichung an internationale Standards statt und insbesondere Klauseln zu Zusicherungen (Representations) und Verhaltenspflichten (Undertakings) basieren oft erkennbar auf Formulierungen wie sie auch im durch die Loan Market Association (LMA) geprägten syndizierten Kreditmarkt Verwendung finden.

Venture Debt wird üblicherweise als Darlehens (loan) i.S.v. § 488 Abs. 1 BGB oder als Inhaberschuldverschreibung (bond) i.S.v. § 793 Abs. 1 S. 1 BGB ausgestaltet, wobei die Ausgestaltung als Inhaberschuldverschreibung regelmäßig von bankaufsichtsrechtlichen Beschränkungen für den Kreditgeber determiniert wird. Wirtschaftlich und auch in wesentlichen Teilen der vertraglichen Dokumentation macht es jedoch kaum einen Unterschied, ob die Venture Debt Finanzierung als Darlehen oder Inhaberschuldverschreibung strukturiert wird.

Die Vertragsbedingungen von Venture Debt Finanzierungen in Deutschland bewegen sich typischerweise in folgendem Rahmen:

  • Laufzeit: bis zu drei Jahren, entweder endfällig oder amortisierend, bei amortisierender Ausgestaltung regelmäßig mit einem Tilgungsbeginn erst nach sechs bis zwölf Monaten. Eine vorzeitige Rückzahlung ist in der Regel vorbehaltlich einer gewissen Ankündigungsfrist zulässig, oft aber gekoppelt mit einer Sperrfrist (z.B. nicht im ersten Jahr der Laufzeit) und/oder einer Vorfälligkeitsentschädigung (oftmals über die Laufzeit abschmelzend), um dem Venture Debt Investor eine bestimmte Mindestrendite zu sichern. Bei (wesentlichen) Vertragsverletzungen kann die Venture Debt Finanzierung vorbehaltlich des erfolglosen Ablaufs vereinbarter Heilungsfristen gekündigt werden und wird dann unmittelbar zur Rückzahlung fällig.
  • Auszahlung: oftmals in Tranchen, wobei die Auszahlung weiterer Tranchen zur Risikoreduktion des Kreditgebers vom Erreichen bestimmter Zielwerte aus dem Business Plan abhängig gemacht wird.
  • Zinssatz: in der Regel Festzinssatz zwischen 8 bis 15 % p.a. (oftmals mit einer Kapitalisierungsoption (payment in kindPIK), die aufgrund des deutschrechtlichen Zinseszinsverbot (§ 248 S. 1 BGB) als Option des Kreditnehmers ausgestaltet werden muss). Im Verzugsfall erhöht sich der Zinssatz in der Regel um 3 bis 5 Prozentpunkte. Bisweilen wir auch eine zusätzliche partiarische Vergütungskomponente (sog. „Venture Kicker“) vereinbart, bei welcher der Venture Debt Investor eine einmalige Bonuszahlung (in der Regel zwischen 10 bis über 20 Prozent des Darlehensbetrags) erhält, wenn bestimmte Zielgrößen (z.B. Umsatzwachstum) während der Laufzeit erreicht wurden.
  • Equity Kicker: typischer Vergütungsbestandteil entweder in direkter Form als Anteilsbezugsrecht (Warrant) oder in indirekter Form durch Anspruch auf eine Barzahlung. 
    • Ein Anteilsbezugsrecht erlaubt dem Venture Debt Investor unmittelbar Geschäftsanteile am Unternehmen im Wert von in der Regel zwischen 10 bis 20 % des Finanzierungsbetrags zu einem festgelegten Wert (oftmals auf Basis der Bewertung der letzten Finanzierungsrunde) zu beziehen. Das Anteilsbezugsrecht kann zeitlich beschränkt sein (regelmäßig 10 Jahre ab Ausgabe) und endet typischerweise im Fall eines Exits im Wege einer Veräußerung einer kontrollierenden Beteiligung am Unternehmen oder eines IPOs.
    • Bei einer Ausgestaltung als virtueller Equity Kicker in Form eines Barzahlungsanspruchs erhält der Venture Debt Investor im Fall eines vertraglich bestimmten Ereignisses, typischerweise ein Exit im Wege der Veräußerung einer kontrollierenden Beteiligung am Unternehmen oder ein IPO, ein auf Basis einer virtuellen Beteiligung berechnete Barzahlung. Sofern innerhalb einer bestimmten Frist ein solches Ereignis nicht eintritt, wird oftmals eine bestimmte Mindestzahlung vorgesehen, wobei hier darauf geachtet werden muss, dass der Zahlungszeitpunkt nicht zu früh eintreten kann, um den Kreditnehmer nicht in Liquiditätsschwierigkeiten zu bringen. Im Übrigen ist die Ausgestaltung uneinheitlich und der Verhandlung überlassen, zum Teil werden etwa auch unabhängig vom tatsächlichen Exit-Erlös zu zahlende Mindestzahlungen oder bereits bei einer Veräußerung von nicht kontrollierenden Beteiligungen am Unternehmen (ab 25 %) zu zahlende Teilzahlungen verlangt.
  • Zusicherungen, Auflagen und Kündigungsgründe sowie Informationspflichten: in der Regel typische bankübliche Zusicherungen, Auflagen (insbesondere Beschränkung der weiteren Finanzverschuldung) und Kündigungsgründe sowie weitgehende Informationsrechte (einschließlich Beobachterrolle in Beiratssitzungen).
  • Finanzkennzahlen: in aller Regel keine Finanzkennzahlen, insbesondere keine „klassischen“ EBITDA-basierten Finanzkennzahlen wie Verschuldungsgrad u.ä., ggf. aber Anforderungen an einen bestimmten Mindestumsatz oder eine Verlustobergrenze.

Trotz vorstehender Darstellung typischer Bedingungen bleibt festzuhalten, dass Venture Debt ein hochgradig flexibles und noch weiterhin in der Fortentwicklung befindliches Finanzierungsprodukt ist. Neben dem Einsatz dieses Instruments zum richtigen Zeitpunkt in der Entwicklung des Unternehmens ist die sorgsame Anpassung der Vertragsbedingungen an die Bedürfnisse des Unternehmens während der Laufzeit der Finanzierung entscheidend dafür, dass eine Venture Debt Finanzierung zum wirtschaftlichen Erfolg aller Beteiligten beiträgt.